Vorwort zum Amtsbericht 2001 der
Evang.-ref. Kirche des
Kantons St. Gallen, Februar 2001
Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident
Am 3. Dezember 2001 hat sich unsere Synode entschieden: Wir möchten den
tief greifenden Wandel in unserer Welt, Kirche und Gesellschaft nicht
nur passiv, widerstrebend oder gar lamentierend erleiden. Wir wollen
unsere Zukunft aktiv mitgestalten. Wir sind bereit, uns als Kirche
weiter zu entwickeln und zu verändern. Die Richtung haben wir nach
breiter Diskussion bis auf Ebene Kirchenvorsteherschaften mit Auftrag,
Vision und Leitzielen „St. Galler Kirche
2010“ gemeinsam und demokratisch festgelegt. Der Prozess wurde auch
von den säkularen Medien und von Kirchenleuten in der übrigen Schweiz
mit Interesse verfolgt. Entscheidend ist nun die Umsetzung. Nichts ist
wirklich, bevor es nicht lokal erfahrbar wird.
Dieser Leitsatz soll uns Auftrag und gemeinsame Vision sein. Wie bei den
zwei Brennpunkten einer Ellipse wollen wir uns ständig zugleich an
Menschennähe und an Gottesnähe orientieren und die beiden in jeder
Situation neu aufeinander beziehen. Wir wollen eine Kirche nahe bei den
heutigen Menschen sein, in vielfältigen Weggemeinschaften mit- und
nebeneinander unterwegs. Und wir wollen eine Kirche sein, die nahe bei
Gott und seiner befreienden Botschaft in Jesus Christus ist. Wir sind
überzeugt, dass im christlichen Glauben das eine nicht ohne das andere zu
haben, das eine in keiner Tätigkeit vom anderen zu trennen ist - wie Jesus
es uns vorgelebt hat. St. Galler Kirche als wanderndes Gottesvolk.
In
zehn Punkten haben wir diese
Vision
entfaltet, und in neun
Leitzielen haben wir festgelegt, welche Schwerpunkte unsere
Kantonalkirche in den Jahren bis 2005 verfolgen wird. Alle
lokalen
Mitarbeitenden und Kirchgemeinden sind aufgerufen, ihre eigenen Ziele
und Schwerpunkte periodisch an dieser gemeinsamen Vision zu messen und
sich schrittweise – zum Beispiel jedes Jahr in einem oder zwei
Leitzielbereichen – in die gleiche Richtung zu bewegen.
Meinen wir es wirklich ernst mit Aufbruch und Wandel?
Zwei Dinge sind uns seither entgegen gekommen in den Reaktionen von
Medienschaffenden und kirchlich mehr oder weniger Engagierten: Zum einen
breite Zustimmung zu Vision und Zielen von „St. Galler Kirche 2010“. –
Wenn Kirche tatsächlich so daher käme!
Und
zum andern deutlich formulierte Skepsis: Sind die Reformierten wirklich
bereit zum Aufbruch und zum Wandel? Weg vom Monopol des traditionellen
Gottesdienstes und dessen Musikstil, hin zu Gottesdienstvielfalt und Platz
auch für rockige Töne und jugendliche Begeisterung? Weg von einer Kirche
von vorwiegend älteren Menschen, Kindern und Insidern, hin zu einer weltoffenen
und solidarischen Kirche mit und für alle Altersstufen und vielfältige
Menschentypen? Weg vom Alles-Können-Müssen der Pfarrpersonen und ihren
Abgrenzungen, hin zu einer farbigen Vielfalt sich ergänzender Gaben und
Kirchgemeinden? Weg von als dogmatisiert erlebten kirchlichen „Wahrheiten“
und Traditionen, hin zu einem selber mitgestaltbaren, ganzheitlichen
Glaubensweg im Alltag der heutigen Welt? – Harte,
vielleicht ungerechte Fragen kritischer Zeitgenossen an uns, manchmal angriffig, manchmal
diplomatisch formuliert. Aber auch erstaunlich hohe Erwartungen dahinter.
Meinen wir es wirklich ernst mit Aufbruch und Wandel?
Offen sein und kreativ, den neuen Wegen vertrauen
Wir
müssen keine Wunder vollbringen, nicht noch härter arbeiten. Wir sollen
uns nur je an unserem Ort und mit unserer Art von Glauben offen, neugierig und unvoreingenommen
auf Menschen einlassen, mit ihnen auf echte Art unterwegs sein, neue
Schritte wagen. Dazu dürfen und sollen wir bewusst Schwerpunkte setzen,
die grossen Ziele in kleine, aber zielgerichtete Schritte des Alltags
umsetzen. Wir haben Zukunft – wenn wir die Menschen und unseren Glauben
ernst nehmen und so Gott Neues zutrauend miteinander Kirche im Heute
leben, Kirche unterwegs.
In
Workshops, Treffen und Gottesdiensten wird ein Lied in letzter Zeit immer
wieder gesungen. Es soll uns auch im neuen Amtsjahr begleiten:
„Vertraut den neuen Wegen, die der Herr euch weist“ (RG 843). Er ist
mitten unter uns.