Artikel für "CAVAYOM ImPuls", Oktober
2001,
Mitteilungsblatt des CVJM St. Gallen,
Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident
Christsein hat sich durch die ganze christliche
Geschichte hindurch in einer Vielfalt von Lebens- und Glaubensformen
ausgedrückt, auch in einer Vielzahl von theologischen Denkansätzen. Das
kann man bereits im Neuen Testament beobachten. Und deutlich wird es erst
recht, wenn wir uns heute mit offenen Augen nur schon im
CVJM Europa
umschauen oder gar einmal bewusst die Vielfalt
christlicher Kirchen in der
Welt zur Kenntnis nehmen.
Das eigene Verständnis von „christlich“ zum alleinigen Massstab zu machen,
liegt zwar nahe. Es dient vor allem dazu, aus unserem eigenen, sehr
beschränkten Blickwinkel anderen zu sagen, dass sie nicht genug oder nicht
richtig „christlich“ seien. So bestätigen wir uns selber auf Kosten
anderer.
Beliebt in Cevi und Kirchen ist zu diesem Zweck das Verteilen von
Etiketten: evangelikal, fundamentalistisch, charismatisch seien die einen
(pfui!), ohne christliche Identität, nur noch sozial oder blosse
Namenschristen die anderen (pfui!). Zu meiner Zeit als Leiter und später
als Sekretär des CVJM St. Gallen habe ich mehrmals erlebt, wie Freunde in
Wut oder Tränen ausbrachen, weil sie von Kolleginnen oder Kollegen
dergestalt als „christlich nicht o.k.“ eingestuft wurden.
In der St. Galler Kantonalkirche
denken wir zur Zeit darüber nach, wie unsere Kirche im Jahr 2010 aussehen
soll und mit welchen Schritte wir dorthin kommen.
"St. Galler Kirche 2010" heisst dieser Prozess und ein
Papier, das demnächst von der Synode, dem Kirchenparlament, verabschiedet
wird. Interessant, was da gesagt wird zum Thema Vielfalt, aber auch zur
Notwendigkeit eines ständigen Ringens um die Bedeutung von Christsein in
den Realitäten der heutigen Welt. Vielfalt schätzen bedeutet also nicht
Beliebigkeit, sondern immer wieder miteinander im Gespräch sein. Das gilt
auch für den Cevi:
„... vereinigen wir ein breites Spektrum von Menschen, Gemeinden,
Überzeugungen und Glaubensformen. Wir betrachten dies als Chance und
Bereicherung und leben eine Haltung gegenseitiger Wertschätzung und
Toleranz. Wir ringen immer wieder neu um ein gemeinsames Verständnis des
Evangeliums und dessen Bedeutung für Leben und Gesellschaft
(St. Galler Kirche
2010, 4.3).“
Ich brauche in diesem Zusammenhang gerne das Bild vom Regenbogen: Das
eine
weisse Licht von Gottes Liebe bricht sich in den Menschen in vielen
Farben. Erklären wir bloss eine Farbe zur allein „richtigen“,
verunmöglichen wir uns selber, die Vielfalt der Wirkungen von Gottes Liebe
in unserer Welt zu sehen.
Auf die Frage „Wie ‚christlich’ soll der Cevi sein?“ gibt es darum keine
allgemeingültige, sondern nur menschen- und situationsbezogene Antworten.
Glaube und christliches Leben zeigen sich in einer wertvollen Vielfalt von
Regenbogenfarben.
Vor kurzem war ich in den Ferien wieder mit Sack und
Pack auf einer Velotour. In einem Hotel mit grossem Swimmingpool traf ich
unterwegs in Süditalien eine Gruppe von rund 40 jungen Wasserballern mit
ihren Trainern. Die Teenies hatten es offensichtlich gut miteinander,
echte Kameradschaft und Freundschaft war spürbar. Etwas nachdenklich sass
ich am Poolrand, an diesen Artikel denkend. Wäre etwas anders, wenn dies
ein Cevi Lager wäre? Gar besser? Vielleicht Tischgebete und eine Andacht
am Morgen? Würde dies das Christliche ausmachen? War das Trainingslager
der Ragazzi nicht christlich?
Für mich ist klar, dass die Christlichkeit einer Cevi-Aktivität nicht
einfach von der Anzahl Andachten, Gottesdienste oder von christlichen
Worten und Gesten abhängt (womit nicht gesagt ist, dass es sie nicht geben
soll). Für mich ist ebenfalls klar, dass Vieles, was in einer Vielzahl von
Jugendorganisationen getan wird, menschlich gut und sehr wohl christlich
ist. Echte Kameradschaft und Freundschaft, auch soziale Zuwendung und
gegenseitige Annahme kann an vielen Orten erlebt werden. Zudem verstehen
sich ja viele Leitende in solchen Organisationen als von christlichen
Werten motiviert, zum Teil auch als Christen, die ihr Christsein eben so
leben. Wir dürfen uns freuen, wie viele christliche Farben überall in
unserer Gesellschaft beobachtbar sind. Auch nicht explizit Christliche
Jugendarbeit kann durchaus christlich sein. Es geht also nicht um die
Beurteilung eines Grades von Christlichkeit. Aber worum denn?
Mein Denkansatz ist ein anderer. Mir geht es zuerst einmal um das
Selbstverständnis der Menschen, die miteinander Christliche Jugendarbeit
betreiben. In meiner Dissertation zum
Thema "Christliche Jugendarbeit" habe ich eine zentrale
These aufgestellt:
Christliche
Jugendarbeit ist entweder eine Form der Christusgemeinschaft – oder
sie verfehlt sich selbst
Christusgemeinschaft ist eine Weggemeinschaft von
Menschen, die sich miteinander und mit Jesus Christus verbunden wissen.
Sie sind ganz unterschiedlich in der Art, wie sie ihren Glauben (und auch
ihre Zweifel) ausdrücken. Aber sie möchten ein Stück Weg miteinander und
mit jungen Menschen gehen, ein Stück Leben miteinander teilen.
Wie sich dies konkret äussert, hängt von
den beteiligten Menschen und den aktuellen Situationen ab. Entscheidend
ist, dass die Leitenden eine christliche Identität haben (was durchaus
auch Zweifel und Unsicherheiten einschliesst) und man sich immer wieder
fragt, was denn die Liebesbotschaft des Evangeliums in der konkreten
Situation bedeutet.
In der Kantonalkirche fassen wir unsere Vision von „St.
Galler Kirche 2010“ zusammen im Satz
„nahe bei Gott – nahe bei den
Menschen“. Wir wollen einerseits nahe bei den Menschen sein, stark von
ihnen und ihren Situationen und Anliegen her denken. Andererseits wollen
wir unserer Identität und unserem Auftrag treu sein: das Evangelium
verkünden und damit nahe bei Gott und seiner befreienden Botschaft in
Jesus Christus sein. Wie bei den zwei Brennpunkten einer Ellipse gilt es,
sich ständig sowohl an Gottesnähe wie auch an Menschennähe zu orientieren
und die beiden in jeder Situation neu aufeinander zu beziehen. Im
christlichen Glauben ist das eine nicht ohne das andere zu haben, das eine
in keiner Tätigkeit vom anderen zu trennen. Jesus Christus hat es uns
vorgelebt.
Für die Leitenden Christlicher Jugendarbeit bedeutet das, dass sie immer
wieder fragen, wie sie ganz nahe bei den jungen Menschen sein, deren
Situationen, Gefühle und Interessen ernst nehmen können. Und andererseits,
dass es immer wieder darüber nachzudenken gilt, was die gute Botschaft von
Gottes Liebe für die aktuelle Situation bedeutet, wie man einander helfen
kann, eine vertrauensvolle Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus
aufzubauen. Diese beiden Dinge - „nahe bei Gott“ und „nahe bei den
Menschen“ - sind immer wieder neu miteinander in Beziehung zu setzen und
in lebendigen Programmaktivitäten auszudrücken.
Was ist die entscheidende
Chance Christlicher Jugendarbeit?
Für mich ist es die Ganzheitlichkeit, die in ihr
angestrebt werden kann – die Einheit von Leib, Seele und Geist im CVJM
Dreieck. Meine Antwort auf die Frage nach der geforderten Christlichkeit
des Cevi lautet deshalb:
Der Cevi soll ein Raum sein, in welchem Christusgemeinschaft gelebt wird
und deshalb erlebbar ist, „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“.
Wie das genau aussieht in einer konkreten Situation mit konkreten jungen
Menschen, ist immer wieder neu zu bestimmen und neu zu leben.