Artikel zur 150 Jahrfeier des CVJM
St. Gallen
Cavayom ImPuls 2/03, 21. Juni 2003
Pfr. Dr. Dölf Weder
Meinen eigenen inneren Bildern folgend würde ich in grosser Dankbarkeit
am liebsten titeln „Wundervolle Menschen und nachhaltig prägende
Erlebnisse“. Und wahrscheinlich war das auch in dieser Zeitperiode das
Wichtigste, was die vielen Hundert junger Menschen und ich selber im
CVJM St. Gallen erlebten: Farbiges, gemeinschaftliches Leben,
freundschaftliche Verbundenheit, gegründet im christlichen Glauben.
Der CVJM St. Gallen hatte 1979 ein grosses Potential, das es zu entwickeln
galt. Auch er war zwar gebeutelt vom tief greifenden gesellschaftlichen
Wandel nach 1968, aber namentlich Sekretär Fredy Brunner hatte während
seiner Amtszeit zwei entscheidende Voraussetzungen für eine neue Blüte
geschaffen: die Bereitstellung des Hinterhauses Florastrasse 14a für die
Jugendarbeit und die Förderung einer engagierten, kompetenten und durch
freundschaftliche Bande miteinander verbundenen Leiterschaft. Als
praktisch einziger CVJM in der Schweiz war der St. Galler Verein zudem
nicht reduziert worden auf bloss noch ein oder zwei Programmtypen. Er
verstand sich nach wie vor als eine Art Spielfeld, auf dem je nach
vorhandenen Menschen und Bedürfnissen nach gewissen Grundregeln ganz
verschiedene „Spiele“ gespielt werden konnten. Das erleichterte gewaltig
die notwendige Entwicklung gezielt zugeschnittener, innovativer
Programmideen für eine zunehmend pluralistische, individualistische und
Ansprüche stellende Jugend.
Selber war ich seit den Zeiten von Paul Ganz („PGs“) in allen möglichen
Abteilungen Mitglied, Leiter und Praktikant gewesen und konnte so an viele
Beziehungen und Erfahrungen anknüpfen. Ich hatte als Theologe über „Christliche
Jugendarbeit“ doktoriert – „Christliche Jugendarbeit ist entweder
eine Form von Christusgemeinschaft oder sie verfehlt sich selbst“ –
und verfügte als Vertreter der Schweiz im
Europäischen CVJM Bund
(dessen Generalsekretär ich später für 1990-1999 werden sollte) über
zahlreiche internationale Kontakte, die sich namentlich für die
Entwicklung der Ten Sing- und der internationalen Lagerarbeit als
unabdingbar erwiesen.
Christliche Identität,
Fokussierung auf Bedürfnisse und professionelles Handeln
Die Zeit und ihre Ansprüche erforderten eine klare, aber offene
christliche Identität, eine zielgerichtete Fokussierung auf die
Bedürfnisse junger Menschen und professionelles Handeln. Vor allem
letztere Forderung und die Ausweitung der Aktivitäten führten anfangs zu
manch engagierten Diskussionen im Vorstand. Dieser wurde vom Präsidenten
Hansueli Bosshart stets ruhig, kompetent und beherzt geführt. Langjähriger
treuer und vieles ermöglichender Kassier war Walter Härri. Das Ziel hiess
„Christliche Jugendarbeit mit Qualität“ – christlich sollte sie
sein, auf die Bedürfnisse der Jungen konzentriert (kein Rückzug auf
Kinderarbeit) und hohen Qualitätsansprüchen genügend.
Entscheidend war natürlich ein hochkarätiges Leiterteam, denn Jugendarbeit
ist immer nur so gut, wie die sie Leitenden. 1986 bestand es in ganz
verschiedenen Funktionen aus rund hundert, zum grossen Teil jungen
Menschen („Jugend führt Jugend“), aufgebaut nach dem Prinzip einer
Pyramide: Jedes Leitende war nach Möglichkeit seinerseits Glied einer
Gruppe auf höherer Ebene, so dass auch dessen eigenen Bedürfnissen mit
speziellen Programmen entsprochen werden konnte.
Auf der administrativen Seite arbeiteten Maja Egloff, gefolgt von Heidi
Bützberger, Marty Walser und Regula Leumann (sie war später 1990-1999
Leiterin des Administrativsekretariates des Europäischen CVJM Bundes).
Dank dem grossen Einsatz von Vorstandsmitglied Felix Böniger, einem
engagierten Basarteam mit gesamthaft gegen hundert Involvierten (Ertrag
1986: Fr. 43'800) und neuen Vereinbarungen mit den städtischen
Kirchgemeinden konnte 1981 auf der Jugendarbeitsseite zusätzlich Peter
Bürki als Praktikant und später als Jugendsekretär finanziert werden.
Peter brachte mit seiner Jugendlichkeit eine enorme Dynamik ein und prägte
den CVJM St. Gallen bis 1986 ganz entscheidend mit (er wurde später
Präsident der europäischen Ten Sing Arbeit). Ihm folgte der junge Lehrer
und Spielpädagoge André Allenspach. Speziell die Mädchen unterstützte
1984/85 die Heimerzieherin Monika Ohnemus-Stern mit einem 50% Pensum. 1985
absolvierte Magdi Wachter ein Praktikum mit Schwerpunkt
Jugendgruppenarbeit, und ab 1986 war die Lehrerin Irène Spitz für
Mädchenarbeit verantwortlich. Anlässlich eines Besuches in Norwegen beim
durch mehrjährige Austauschprogramme befreundeten CVJM Kongsberg gelang es
mir, für die Jahre 1985/87 einen Volontär zum Aufbau von
Ten Sing Arbeit
zu gewinnen. Tom Olav Guren eroberte mit seinem breiten Lachen, seinem
Charme und mitreissenden Ten Sing Shows die Herzen der St. Galler im Sturm
– und mit der Ten Sing Idee bald auch den Rest der Schweiz. Ten Sing nahm
mit den Elementen poppiger Jugendchor, Band, Tanz- und Theatergruppe die
Jugendkultur ernst und brachte zu wichtigen menschlichen Themen
mitreissende Shows auf Bühnen und in Kirchen. Schnell 90 Jugendliche
zählend, wurde bereits 1986 die erste Auslandtournée nach Deutschland und
Norwegen organisiert.
Die Jungschar-, Chnöpfli-, Jugendgruppen- und Hauskreisarbeit blieben
weiter wichtige Standbeine und profitierten namentlich in der
Leiterausbildung von einer guten Zusammenarbeit mit der CVJM Region
Ostschweiz. Die Handballabteilung stieg 1983 mit ihrer ersten Mannschaft
in die Nationalliga B auf und war stets mit drei bis vier Mannschaften im
Juniorenhandball vertreten. Neben dem Aufbau von Basketball- und
Volleyball-/Plauschsportabteilungen, jugend- und kirchenpolitischen
Engagements, der Übernahme der Geschäftsführung Stiftung CVJM Ferienheim
La Punt in einer kritischen Phase ihrer Geschichte, Ideen für einen ersten
Dreilindensponsorlauf und manchen kleineren Initiativen (und natürlich
auch Misserfolgen) ist für diese Periode ein namhafter Ausbau der
Lagerarbeit mit 15- bis 25-Jährigen zu melden. Das war möglich dank
verschiedenen Sportlagern und einem Konzept relativ kleiner, selbst
bestimmter Gruppen, die vornehmlich im Ausland und oft in internationaler
CVJM-Zusammenarbeit unterwegs waren, ein wertvolles Stück interkulturellen
Lernens. Die Krone bildete das „Challenger“-Programm für eine Elite
wiederkehrender Camperinnen und Camper – meine persönliche Leidenschaft,
der Erlebnispädagogik verpflichtet. Diese abenteuerlichen Lager führten,
ausgerüstet mit Leichtzelten und Benzinkochern, zu Fuss, im Velosattel
oder Kanu unrekognosziert kreuz und quer durch Europa und bildeten eine
intensive Leiterschulung in Kleingruppen.
Alle diese Entwicklungen erforderten 1983 das Zügeln des administrativen
Teils des Vereinssekretariates ins Vorderhaus Florastrasse 14. 1982 wurde
der CVJM/F St. Gallen zudem zum CVJM St. Gallen, zum Christlichen Verein
Junger Menschen.
1986 meldeten die Hauszeitschrift „Flora“ (Auflage 3300 Exemplare, durch
Inserate praktisch selbsttragend) und der jährlich allen St. Galler
Jugendlichen und Ehemaligen zugesandte Lagerprospekt die folgenden
Statistiken für 1985: Wöchentlich an Programmen teilnehmende Jugendliche:
ca. 400; Mitarbeit in Erwachsenengruppen: ca. 160; Lagerteilnehmende: ca.
500; Vollzeiter-Stellen: 5; Total der Mitglieder CVJM St. Gallen nach
Statuten (inkl. Lager-, Gönner-, Passivmitglieder usw.): ca. 3200.
Finanzieller Umsatz 1985 (ohne Lager): Fr. 291’000.
Als Kirchenratspräsident der
Evangelisch-reformierten
Kirche des Kantons St. Gallen sehe ich heute noch deutlicher als
früher, wie wichtig die CVJM Arbeit für die jungen Menschen, für die
Gesellschaft und für die Kirchen ist. Viele ihrer heute tragenden Glieder
und Mitarbeitenden kommen aus dem CVJM; ich gehöre auch dazu. Hier lernten
wir christliches Leben und Verantwortungsübernahme. Möge der CVJM
St. Gallen auch weiterhin – mit dem Leitwort der Kantonalkirche gesagt –
eine Bewegung „nahe
bei Gott – nahe bei den Menschen“ bleiben!