Interview von Pfr. Helmut Heck mit
Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident, im
St. Galler
Kirchenboten, Februar 2013 ()
Helmut Heck: Dölf Weder, welches Bild
von Kirche ist für Dich massgeblich in den Prozessen um Fusionen?
Dölf Weder: Die reformierte Kirche ist Ekklesia,
Christusgemeinschaft. Sie ereignet sich wesentlich an der Basis. Das kann
eine lokale oder regionale Kirchgemeinde sein. Sie lebt aber
beispielsweise auch in der Spital- oder Gefängnisseelsorge – und überhaupt
dort, wo zwei oder drei Menschen in Christi Namen zusammen sind. Kirche
ereignet sich in einer Vielzahl von Formen.
Warum denn eine Kirchgemeinde
Mindestgrösse?
Es geht um die Finanzierbarkeit und den optimalen
Personaleinsatz unter den heutigen landeskirchlichen Verhältnissen.
Sollten wir uns in Zukunft auf eine Kirchenlandschaft mit stark
freikirchlichem Charakter hin bewegen, sind für mich auch wesentlich
kleinere Gemeinden denkbar. Sie hätten aber ein ganz anderes
Selbstverständnis und radikal andere Finanzierungsmodelle.
Die Diskussion um Fusionen sieht
nach einem Konflikt zwischen Stadt/Agglomeration und Land aus:
Richtig, aber auch die örtlichen konfessionellen
Mehrheitsverhältnisse und soziologische Veränderungen spielen wichtige
Rollen. In der Region Uznach waren die Reformierten immer deutlich in der
Minderheit. Man musste sich darum stets auch inhaltlich der katholischen
Mehrheit erklären, ein erkennbares Glaubensprofil vertreten und attraktive
Programme anbieten. Die 4‘554 Uznacher Reformierten sind über acht
politische Gemeinden verstreut. In reformierten Toggenburger Gebieten
wären sie durch mehrere Kirchgemeinden und entsprechend viele
Pfarrpersonen abgedeckt. Glaube drückte sich dort im Teilnehmen an der
reformiert geprägten Dorfgemeinschaft aus. Jetzt schrumpft aber auch hier
der Kern der Alteingesessenen, und damit die Selbstverständlichkeit der
Teilnahme. Eine vielfältiger und mobiler gewordene Bevölkerung stellt
neue inhaltliche und programmliche Ansprüche an ihre Kirchgemeinde.
Wie wird die Kirche der Zukunft
aussehen?
Der landeskirchliche Charakter unserer Kirche wird wohl
weiter schwächer werden, aber noch länger bestehen bleiben. Im
Funktionieren von Kirchgemeinden werden wir uns aber immer stärker
freikirchlichen Formen annähern. Das erfordert eine stärkere inhaltliche
und programmliche Profilbildung unserer Gemeinden. Man muss wissen und
klar kommunizieren, wofür man steht. Zudem muss man Mitarbeiter- und
nicht bloss Servicegemeinde sein. Reformierter Glaube wird in der
Gesellschaft weniger selbstverständlich sein, auch in ehemals reformiert
dominierten Gebieten. Man wird weitere Wege gehen und dort kirchliche
Programme und Gemeinschaft erleben, wo man sich angesprochen fühlt. Die
Gemeinden werden damit weniger territorial denken können. Die freie
Gemeindewahl wird Realität.
Die heutigen
finanziellen Schwierigkeiten sind wohl
Vorboten einer Situation, in der uns nicht mehr der Kanton unseren
Finanzausgleich bezahlt, und das erst noch grosszügig. Er wird stattdessen
konkrete soziale Leistungen mitfinanzieren. Damit wird wohl auch in
unserem Kanton ein innerkirchlicher Finanzausgleich notwendig: Reiche
Gemeinden unterstützen finanzschwache. Der Vergleich mit anderen
Kantonalkirchen zeigt aber, dass das wohl nur noch eine Beitragshöhe von
etwa 15 Prozent der heutigen Finanzausgleichsbeiträge bedeuten würde –
eine dramatische Herausforderung für finanzschwache Kirchgemeinden. Darum
dürfen wir nach Ansicht des Kirchenrates nicht zögern, die heute
notwendigen Strukturveränderungen anzugehen. Es wird in Zukunft noch viel
grössere geben.