Beantwortung eines Leserbriefes im
St. Galler Kirchenbote 7-8/2002, August 2002
Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident
Die Kritik von Albert
Meierhofer, Thal
"Im letzten
Kirchenboten wird im Artikel 'Pfarrbild im Wandel' ein Votum des
Kirchenratspräsidenten Dölf Weder mit dem Satz wiedergegeben: 'Kirche
darf sich nicht mehr definieren als Heilsbringer oder Garant des
richtigen Glaubens, sondern muss Begleiterin sein auf dem Weg religiöser
Erfahrung'.
Einer solchen Aussage muss deutlich widersprochen werden. Ich möchte
allen Lesern zurufen, dass sie sich an das Evangelium von Jesus Christus
halten sollen, der sagt: 'Ich bin die Wahrheit und das Leben, niemand
kommt zum Vater denn durch mich.' Es ist in keinem anderen Heil, es ist
auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darinnen
wir sollen errettet werden, schreibt der Apostel Paulus.
Religiöse Erfahrung führt zu keiner Rettung,
höchstens zur Selbsttäuschung, wobei ich von der Definition nach Duden
ausgehe, dass Religion die menschliche Vorstellung von Gott bedeutet.
Ich glaube deshalb an das Evangelium und würde gerne wissen, was unser
Kirchenratspräsident mit jener Aussage genau meinte."
Lieber Herr Meierhofer
Sie sehen richtig, dass in der Kürze des Artikels ein von mir vorgelesenes
Zitat und meine eigene Aussage in einem Satz zusammengefasst wurde, mit
dem noch nicht alles gesagt ist. Mir ist wichtig, dass man auch als
Begleiter Zeugnis ablegen darf und ablegen soll von einer Wahrheit,
die einem selber überzeugt hat. Das soll ich aber auf dialogische, dem
Partner Freiheit gewährende Weise tun – und nicht als autoritärer
Vertreter einer den richtigen Glauben nur für sich selber beanspruchenden
Kirche. Ich bin gewiss, dass Gottes Wahrheit sich letztlich als Wahrheit
erweisen wird. Dass es immer nur die von mir vertretene Wahrheit und nie
diejenige des anderen sein wird, das bezweifle ich.
Ich glaube auch, dass man das Evangelium von Jesus Christus und religiöse
Erfahrung einander nicht so entgegensetzen kann, wie Sie – und auch manche
Theologen – es tun. Wenn ich mir Jesu Leben anschaue, aber auch das Wirken
seiner Jünger und die Geschichte der Kirche, so spielte Glaubens-Erfahrung
stets eine entscheidende Rolle beim Wirksamwerden des Evangeliums.
Der christliche Glaube zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass es nicht
bloss um eine dogmatische Lehre über Gott, Sünde und Vergebung geht,
sondern um das Entstehen und Wachsen einer lebendigen Gottes-, Christus-
und Menschenbeziehung – also um Glaubensleben und Glaubenserfahrung.
Ganzheitlicher Glaube erst bewegt und motiviert Menschen, Gottes Liebe im
Alltag der Welt weiter zu geben.
Denken Sie beispielsweise an die Bekehrung des Paulus und die sein ganzes
Leben verändernde Wirkung dieser Erfahrung. Solcher Glaube ist nicht
normiert. Er ist auch nicht einfach oder ist nicht. Wie eine
menschliche Beziehung, wächst er und verändert er sich während des ganzen
Lebens. Wir sind ständig unterwegs, einander auf Gottes Zuwendung und auf
menschengerechtes Handeln aufmerksam machend.
„St. Galler Kirche 2010“ spricht deshalb
von mannigfachen
Weggemeinschaften, in denen wir als Kirche miteinander unterwegs sind.
Wir sollen einander Begleiter sein. Wir sollen voneinander lernen über
Gott, das Leben, die Liebe und den Glauben – in dialogischer
Bescheidenheit, „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“.