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Peter Schmid
im Gespräch mit Kirchenratspräsident Dölf Weder
und Markus Naef im
Landeskirchen-Forum, September 2010
Im St. Galler Netzwerk Junge Erwachsene arbeiten
Reformierte regional und kantonal zusammen. Events und Aktionen,
Feiern und Retraiten machen Kirche erlebbar, verbinden und stärken den
Glauben. Die Kantonalkirche unterstützt das Netzwerk mit einer
Arbeitsstelle. Kirchenratspräsident Dölf Weder spricht von einer sehr
schwierigen Herausforderung. Und ist entschlossen: „Wir wollen junge
Erwachsene begleiten.“
Das Netzwerk Junge Erwachsene verbindet
18-35-jährige Reformierte zwischen Rorschach, Wil und Sargans, die vom
Traum einer „lebensnahen, zeitgemässen und offenen Kirche“ bewegt
sind. Das Netzwerk gestaltet den Adventskalender gADVENTwöttsch, lädt
mit der Aktion ‚40 tage ohne‘ zum Verzicht ein und führt Tagungen
durch. Mit seinem Veranstaltungskalender weist es hin auf weitere
Angebote im Kanton: Ende August wurde erneut ein fünftägiger Segeltörn
auf dem Bodensee angeboten. An zwei Donnerstagabenden im Monat gibt es
in der Kathedrale St. Gallen ein ökumenisches Stadtgebet. Die
meditative Nacht der Lichter, in St. Gallen seit Jahren ein Hit, wurde
im November 2009 erstmals in Wattwil fürs Toggenburg veranstaltet
(mehr auf
Netzwerk Junge Erwachsene).
In der Gallusstadt gestalteten Junge im August erstmals den
Gottesdienst „echtzeit“ mit Band, Input und Kreuzverhör und
anschliessender Bar. „Wir wollen eine Alternative schaffen zum
traditionellen Sonntagsgottesdienst, einen Ort, wo ich als junger
Mensch mit gutem Gefühl hingehe“, sagt die Mitinitiantin Sabrina
Schönenberger. Benjamin Oertle, ebenfalls im Team, legt Wert auf eine
Predigt mit „authentischen Gedanken mitten aus dem Leben“. Bei der
echtzeit am 28. August im „Lagerhaus“ im Stadtzentrum sprach ein
Internetseelsorger über Identitätsfragen (mehr auf der
echtzeit-Website ).
Seit November 2007 betreut Markus Naef (35) die Arbeitsstelle Junge
Erwachsene mit einem Pensum von 50 Prozent. Die Kirche könne die Werte
dieser Altersgruppe nicht mehr „extrem beeinflussen“, meint der
Toggenburger Primarlehrer mit abgeschlossenem Soziologiestudium. Die
Erfahrungen als Jugendleiter in seiner Kirchgemeinde hätten ihn jedoch
gelehrt, dass Jugendliche viel annehmen, wenn sie im Übergang zum
Erwachsenenalter „authentische, ehrliche, gesprächsbereite Vorbilder
haben, die auch Beziehungen überzeugend gestalten“.
Kirchenratspräsident Dölf Weder verweist darauf, dass wesentliche
persönliche Normen sich in der Adoleszenz bilden oder umbilden (Erik
Erikson). In der pluralistischen Gesellschaft könne die Kirche den
Jungen nicht mehr vorschreiben, wie sie zu leben haben. „Aber wir
können mit ihnen unterwegs und im Gespräch sein.“
Das ist ein hohes Ziel. Weder räumt ein: „Wir haben für die Zeit nach
der Konfirmation keine funktionierenden Modelle mehr.“ Nur noch an
wenigen Orten gebe es CEVI und Junge Kirche. Im Übergang zum
Erwachsenenalter sei die Kirche nur noch wenig gegenwärtig. Der
Präsident der St. Galler Kirche nimmt kein Blatt vor den Mund: „Nach
der Konfirmation bricht der Kontakt zur Kirche ab. Nicht nur im
religiösen Wissen, sondern auch in der religiösen Entwicklung bleiben
Jugendliche stehen, spätestens im Konfirmandenalter.“
In Weders Einschätzung hat die Kirche schon in früheren Generationen
mit den 18-25-Jährigen wenig anzufangen gewusst. „Von der Arbeit mit
jungen Erwachsenen flüchtete man sich in die Konfirmierten- und
Teenager-Arbeit und weiter hinunter, so dass teils nur noch mit
Kindern gearbeitet wird. Die Kluft zwischen der Konfirmation und der
Zeit der Heirat, die heute später stattfindet, hat sich vertieft.“
Der St. Galler Kirchenrat hat die Herausforderungen dieses Jahr im
Bericht
Geistliche Begleitung von Kindern und Jugendlichen in der St. Galler
Kirche an die Synode dargelegt (vgl. die
Zusammenfassung). In seiner «Gesamtschau aller Aspekte der
geistlichen Begleitung von Kindern und Jugendlichen» plädiert er u.a.
für „lokale oder regionale Gottesdienste speziell für
Nachkonfirmierte“. Junge Erwachsene sollen zur Mitgestaltung angefragt
werden, im Konf mitwirken und sich kreativ betätigen können.
Neue Musik und Freiräume
Dies ist der jüngste von mehreren Schritten, die die St. Galler Kirche
zu den Jungen bringen sollen. Seit Dölf Weder, zuvor CEVI-Sekretär für
Europa, im Jahr 2000 das Kirchenratspräsidium übernahm, hat sie auch
personell Akzente gesetzt. Neben Markus Naef hält Peter Christinger
(Arbeitsstellen Familien und Kinder, Jugend, seit 2003) Fäden
zusammen, leitet an, ermutigt und koordiniert. Christinger sucht
namentlich die Konfirmierten, die 16-20-Jährigen, mit Kirche in
Beziehung zu halten. Den beiden helfen Mirjam Noser als Volontärin und
zeitweise Zivildienstleistende. Die jungen Erwachsenen unterstützen
auch die Bemühungen zur Förderung zeitgenössischer Kirchenmusik-Stile
und neuer Gottesdienstformen. Auf diesem Feld ist die St. Galler
Kirche national führend.
Zur Wertebildung beitragen
Für Naef gilt es mitzuwirken, wenn sich das Wertgefüge junger
Erwachsener aufbaut. „Die Kirche muss versuchen, Präsenz zu markieren
– dass sie an die Werte, die sich bilden, einen Beitrag leistet.“ Das
Bewusstsein, dass die Gesellschaft eine Wertebasis braucht, sei zwar
gewachsen, meint Weder, „aber man ist kritisch und ablehnend gegenüber
jeder Institution, die daherkommt und Werte anbietet“. Markus Naef
formuliert ein Klischee nicht nur junger Erwachsener: Kirche als
Institution, die mir sagen will, was ich zu tun habe. „Da haben wir
den Tatbeweis zu erbringen, dass wir den Diskurs, das fortlaufende
Gespräch, wollen, dass wir mit den jungen Erwachsenen einen Weg gehen
wollen, sie nicht einfach anpredigen.“
Jesus und Paulus konnten die Kultur nicht bestimmen, sagt Weder. „Sie
gaben ihre Botschaft hinein ins Gespräch. Ich bin überzeugt, auch
heute noch lassen sich Leute darauf ein, wenn man mit ihnen im
Gespräch ist und Vorbilder anbietet.“ Die Staatskirche habe ihre Werte
den Leuten auferlegen und mit staatlichen Mitteln durchsetzen können.
„Diese Ordnung ist zerbrochen – und das ist gar nicht so schlecht.“
Der St. Galler Kirchenleiter glaubt an die Kraft der christlichen
Botschaft, die überzeugt. „Das altmodische Wortpaar bezeugen/Zeugnis
bekommt da ein ganz neues Gewicht.“
Weder beliebig noch rigid
Die im Netzwerk Junge Erwachsene vernetzten Jungen wollen mit ihrem
Engagement zeigen, dass es möglich ist, Glauben zu leben und in der
heutigen Zeit verwurzelt und keineswegs altmodisch zu sein. „Sie
wollen sich mit der Bibel befassen und ihre Inhalte ernst nehmen. Das
vorzuleben und zu bezeugen, den Weg zwischen extremer Beliebigkeit
(alles möglich) und einer rigiden Moral (alles vorgeschrieben) zu
gehen – das ist nicht einfach, aber attraktiv.“
Im Netzwerk engagieren sich derzeit über ein Dutzend Personen zwischen
18 und 35; zahlreiche weitere Junge nutzen die übers Jahr verteilten
Angebote. Darunter sind Wochenenden, die die vertiefte
Auseinandersetzung mit einem Thema ermöglichen. Da könne man, sagt
Naef, „Lebensfragen angehen im Rückgriff auf Werte, die wir in der
Bibel finden. Zweimal jährlich findet eine Retraite statt.
„30 unter 30“ in die Synode
Der intensivierten Arbeit mit jungen Erwachsenen entspricht das
Bemühen, ihre Vertretung in der Synode der Kantonalkirche zu
verstärken. Die Synode beschloss 2008 die Vision „St. Galler Kirche
2015“ und gab darin den Auftrag, bis dann den Anteil junger
Erwachsener in Synode und Kirchenvorsteherschaften ihrem prozentualen
Anteil an Kirchenmitgliedern (17%) anzunähern. Mit der Losung „30
unter 30“ sucht das Netzwerk mehr junge Reformierte für die 180
Synodesitze.
2010 haben sich wieder 15 unter 30-jährige Reformierte in die Synode
wählen lassen (2002 elf, 1998 erst zwei). Damit hat, wie Markus Naef
auf der Homepage schreibt, St. Gallen „mehr Jungsynodale als Zürich,
Bern, Graubünden, Aargau und Basel zusammen“. Den vom Netzwerk
ausgeschriebenen Wettbewerb um den Goldenen Güggel (Welche Gemeinde
entsendet im Durchschnitt die jüngsten Abgeordneten ins
Kirchenparlament?) gewann diesmal Sennwald-Lienz-Rüthi. Die kreativen
Netzwerker machen laut Homepage weiter: „In den nächsten Jahren soll
das goldene Federvieh noch etliche andere Gemeinden kennen lernen.“
Dass es Markus Naef auf der Arbeitsstelle gibt, ist übrigens das
Ergebnis einer Motion, welche Junge in der Synode einreichten.
Neues mit weniger Jungen
Auch zwischen Bodensee und Walensee steht die Arbeit mit jungen
Erwachsenen im Schatten der demografischen Prognose. Weder räumt ein:
„Wir werden in fünfzehn Jahren noch halb so viele Konfirmanden haben
wie heute.“ Darum soll die Kirche auch in die Gesellschaft
hineinwirken und „dazu beitragen, dass sie Anreize zur Elternschaft
schafft“.
Am Sozial- und Umweltforum Ostschweiz am 16. Mai 2009 in St. Gallen
verschenkten Mitglieder des Netzwerks Max-Havelaar-Biobananen – und
zwar blaue, rote und grüne mit rosa Punkten. Die jungen Reformierten
wollten damit auch signalisieren, dass sie Neues erwarten: „Eine
andere Kirche ist möglich!“
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Inhalt
Das St. Galler
Netzwerk Junge Erwachsene
Alternativen schaffen
Vorbilder gefragt
Modelle fehlen
Gottesdienste für
Nachkonfirmierte
Neue Musik und Freiräume
Zur Wertebildung beitragen
Weder beliebig noch rigid
"30 unter 30" in die Synode
Neues mit weniger Jungen
In der heutigen pluralistischen
Gesellschaft kann die Kirche den Jungen nicht mehr vorschreiben, wie sie
zu leben haben. „Aber wir können mit ihnen unterwegs und im Gespräch
sein.
Von der Arbeit mit jungen Erwachsenen
flüchtete man sich in die Konfirmierten- und Teenager-Arbeit und weiter
hinunter, so dass teils nur noch mit Kindern gearbeitet wird. Die Kluft
zwischen der Konfirmation und der Zeit der Heirat, die heute später
stattfindet, hat sich vertieft.“
Das Bewusstsein, dass die Gesellschaft
eine Wertebasis braucht, ist zwar gewachsen, aber man ist kritisch und
ablehnend gegenüber jeder Institution, die daherkommt und Werte anbietet
oder verordnen will.
Auch Jesus und Paulus konnten die
Kultur nicht bestimmen. Sie gaben ihre Botschaft hinein ins Gespräch.
Auch heute noch lassen sich Leute darauf ein, wenn man mit ihnen ins
Gespräch tritt. |