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Es geht um das Entdecken des inneren Glaubensfeuers

Wollen wir Untergangsverwalter oder Übergangsgestalter sein?

 

 

 

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Interview von Peter Schmid mit Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident, im Bulletin des Landeskirchen-Forums, Februar 2013
 

 

In der Schweizer Kirchenlandschaft hat die St. Galler Kirche unter der Leitung von Pfr. Dr. Dölf Weder bemerkenswerte Akzente gesetzt. Vor der Wahl seines Nachfolgers im Juni 2013 hat das LKF mit Dölf Weder zurück- und vorausgeblickt.

 

LKF: Sie haben die St. Galler Kirche seit 2000 geleitet und auf neue Wege geführt. Wo gab es Fortschritte?

Die Realität in der St. Galler Kirche ist nicht viel anders als in anderen Kantonalkirchen. Wir engagieren uns alle in menschlicher Schwachheit. Aber ich höre oft, dass wir als innovativ, nicht-depressiv erlebt werden. Es gibt an vielen Orten und in vielen Arbeitsgebieten lebendiges, die Menschen berührendes Leben – in sehr vielfältiger Form und angepasst an die lokale Situation und die Menschen, die dort miteinander Kirche leben. Darum geht es ja. „Ich bin gekommen, damit sie Leben haben, Leben in reicher Fülle“, sagte Jesus (Joh. 10,10).

 

Wie haben Sie es (bei unserem helvetischen Föderalismus) geschafft, dass die Kirchgemeinden sich vermehrt als Teil der Kantonalkirche verstehen, sich von ihr bewegen/echt motivieren lassen und auch aufeinander zugehen?

Entscheidend war der bereits im Jahr 2000 eingeleitete, breite und partizipative Prozess „St. Galler Kirche 2010“. Aus ihm entstanden die gemeinsame Vision einer Kirche „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“ und ganz konkrete Zielsetzungen in verschiedenen Arbeitsgebieten. Die Überprüfung der Fortschritte in der wiederum sehr breit und interaktiv angelegten "Visitation 2007" und die daraufhin erarbeiteten Leitziele für „St. Galler Kirche 2015“ entfalteten weitere programmatische Kraft und zeigten, dass das Ganze nicht einer der berühmten Papiertiger geblieben war. Ohne eine dynamische kantonalkirchliche Mitarbeiterschaft in nahem Kontakt mit den Kirchgemeinden und deren interaktiven Einbezug, ohne sehr viel tägliche, harte und strategisch ausgerichtete Arbeit aller Beteiligten in vielen Details und Themen hätte aber auch das nie zu wirklichen Veränderungen geführt.

 

Lässt sich daraus Grundsätzliches für Kirchenführung ableiten?

Aber sicher. Entscheidend ist nicht die „Befehlsgewalt der Obrigkeit“, die führt zu wenig, auch wenn sie für die konsequente Umsetzung von gemeinsam gefassten Beschlüssen gelegentlich ebenfalls nötig ist. Die entscheidende Einflussmöglichkeit liegt in der Initiierung und Gestaltung von partizipativen und interaktiven Prozessen, in denen sich Menschen gegenseitig beeinflussen und ermutigen. Prozessgestaltung und unterstützende Ermutigung gehören zu den wichtigsten Instrumenten einer Kirchenleitung. Es geht um gemeinsame Ziele und Ausrichtung, es geht um das Entdecken des inneren Glaubensfeuers und dessen Unterstützung – und dann um konsequente, schrittweise Umsetzung. Das erfordert von allen Beteiligten grosses inneres Engagement, viel Zeit und ständige harte Arbeit. Die oft erträumten „Quick Fixes“ funktionieren nicht.

 

Wo steht die Kirche heute?

Kirchengeschichtlich leben wir in einer sehr dynamischen Veränderungsphase. Wir alle sind gefragt, ob wir Untergangsverwalter oder Übergangsgestalter sein wollen. Das zweite können wir nur sein, wenn wir wissen, wer wir als Kirche in unserem Wesen sind und was unsere Mission ist. Bloss unser „Profil“ schärfen zu wollen, reicht nicht. Wir befinden uns wegen der gesellschaftlichen Veränderungen in einer tief liegenden Identitätsdiffusion und haben nicht nur ein relativ oberflächliches Profilproblem. Was bedeutet christliches Glauben und Leben heute? Darauf müssen wir in wenigen, klaren und den heutigen Menschen verständlichen Worten antworten können – und dann glaubwürdig entsprechend handeln.

 

Wie bewerten Sie ihre Attraktivität für junge Menschen? Was tut Not angesichts des Traditionsabbruchs?

Als früherer langjähriger Jugendarbeitsverantwortlicher bin ich schon lange und zunehmend sehr besorgt. Auf der anderen Seite erlebe ich beispielsweise seit mehreren Jahren, wie begeistert vorher auch religiös wenig sozialisierte Zivis und Jugendvolontärinnen sich bei uns an der „Perle“, am Sitz unserer Kantonalkirche, engagieren, und wie sie plötzlich entdecken, wie lebendig und relevant kirchliche Arbeit für die Menschen sein kann – auch mit und für Junge. Warum soll das nicht auch an vielen anderen Orten und auf viele andere Weise möglich sein? Es gibt dafür durchaus gute und ermutigende Beispiele.

 

Wie wird die Kirche der Zukunft aussehen?

Der landeskirchliche Charakter unserer Kirche wird wohl weiter schwächer werden, aber noch länger bestehen bleiben. Im Funktionieren von Kirchgemeinden werden wir uns aber immer stärker freikirchlichen Formen annähern. Ich meine damit nicht bloss „fromme“  Ausrichtungen, man kann auch theologisch „liberal“, oder betont diakonisch, politisch oder sonstwie sein. Wie schon die Vielfalt in der Bibel zeigt, gibt es sehr viele Glaubens­verständnisse und Formen von gelebtem Glauben. Wir sollten nie versuchen, alle glaubenden Menschen in ein einziges Schema oder Gemeindebild pressen zu wollen. Das erfordert aber eine geklärte inhaltliche und programmliche Identität und Profilbildung unserer Gemeinden. Man muss wissen und klar kommunizieren, wofür man steht. Zudem muss man Mitarbeiter­- und nicht bloss Servicegemeinde sein. Reformierter Glaube wird in der Gesellschaft zunehmend weniger selbstverständlich sein, auch in ehemals reformiert dominierten Gebieten. Man wird weitere Wege gehen und dort kirchliche Programme und Gemeinschaft erleben, wo man sich angesprochen fühlt. Die Gemeinden werden damit weniger territorial denken können. Die freie Gemeindewahl wird Realität.

 

Wenn Strukturen verändert werden, welches reformierte Bild von Kirche soll uns leiten?

Im Neuen Testament lautet das griechische Wort für Kirche Ekklesia. Ich übersetze das damit Gemeinte frei mit „Christusgemeinschaft“. Das sind Menschen, die an vielen Orten als Teil der einen Ekklesia in verschiedenen Formen und Gruppen (und Konfessionen!) als menschliche Gemeinschaft unterwegs und mit dem gegenwärtigen Christus verbunden sind – wanderndes Gottesvolk in Christus. Gerade reformierte Kirche ereignet sich darum ganz wesentlich an der Basis. Das kann eine lokale oder regionale Kirchgemeinde sein. Sie lebt aber beispielsweise auch in der Spital- oder Gefängnisseelsorge – und überhaupt dort, wo zwei oder drei Menschen unter der Woche oder am Sonntag in Christi Namen zusammen sind. Sie sind alle Teil der einen Ekklesia, des einen Leibes Christi.

 

Was bedeutet das für unser Handeln?

Es bedeutet, dass wir an jedem Ort, in jeder Situation, und auch in jedem gesellschaftlichen Umfeld miteinander Kirche leben können. Entscheidend ist nur: Wir sollen „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“ sein. Leben wir das doch einfach getrost und mutig!

 



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     www.weder.ch     Last updated: 27.12.23

   
Inhalt

Innovativ statt depressiv

Teil eines Ganzen

Partizipative Prozesse

Klarung der Identität

Attraktiv für junge Menschen

Vor grossen Veränderungen

Christusgemeinschaft leben

"Nahe bei Gott - nahe bei den Menschen"

 

 

 

 

 

 

 

 

Die entscheidende Einflussmöglichkeit liegt in der Initiierung und Gestaltung von partizipativen Prozessen, in denen sich Menschen gegenseitig beeinflussen und ermutigen.

 

 

 

 

Wollen wir Untergangsverwalter oder Übergangsgestalter sein?

 

 

 

 

Wir befinden uns wegen der gesellschaftlichen Veränderungen in einer tief liegenden Identitätsdiffusion.

 

 

 

 

 

Der landeskirchliche Charakter unserer Kirche wird wohl weiter schwächer werden, aber noch länger bestehen bleiben. Im Funktionieren werden wir uns immer stärker freikirchlichen Formen annähern.

 

 

 

Das erfordert eine geklärte inhaltliche und programmliche Identität und Profilbildung. Zudem muss man Mitarbeiterkirche sein.

 

Wir sollen neutestamentliche Ekklesia, Christusgemeinschaft sein.

 

 

Wir können an jedem Ort, in jeder Situation und auch in jedem gesellschaftlichen Umfeld miteinander Kirche leben.