Ordination eines Pfarrers
Sonntag, 17. November 2002, Evang.-ref. Kirche St. Niklaus,
Schwammendingen ZH
Predigt Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident
Liebe Gemeinde
Zuerst ein herzliches Dankeschön für die Einladung
hier nach Schwammendingen. Wir feiern ja heute eine St. Galler
Ordination. Unser junger Pfarrer wird ins Ministerium der St. Galler
Kirche aufgenommen.
Solche Ordinationen werden normalerweise auf dem Gebiet der Mutterkirche
durchgeführt, während ich heute so zu sagen auf fremdem Territorium
operiere - selbstverständlich mit höchstobrigkeitlicher Genehmigung des
Zürcher Kirchenrates.
Ich finde es aber schön, dass Peter seine Ordination zusammen mit Ihnen
als seiner Vikariatsgemeinde feiern kann. Mir wurde bei den Gesprächen
mit ihm deutlich, dass er Sie und die Menschen in der Strafanstalt
Böschwies sehr ins Herz geschlossen hat und sich mit Ihnen verbunden
fühlt.
Und wir St. Galler werden ja noch manche Gelegenheit haben, mit dem
neuen Pfarrer zusammen zu sein. Er wird nämlich ab dem nächsten Jahr bei
uns mit einem 50% Pensum als Gefängnisseelsorger tätig. Wir freuen uns
auf Dich, Peter!
Und Ihnen, liebe Schwammendinger, danken wir für alles,
was Sie Peter, und damit auch uns, im letzten Jahr mitgegeben haben.
Nun möchte aber auch ich mit Ihnen einige Gedanken zu
einem biblischen Text teilen.
Im Vorgespräch mit Peter und jetzt auch wieder beim Anhören seiner
Predigt, ist mir einmal mehr deutlich geworden, wie anspruchsvoll der
Beruf eines Pfarrers heute ist, und welch grosse Verantwortung er für die
ihm anvertrauten Menschen, aber auch für die ihm anvertraute gute
Botschaft übernimmt.
Und jeder ein bisschen wache junge Pfarrer, aber auch jedes Gemeindeglied
überhaupt, beginnt doch da zu fragen: Woher kommt denn die Kraft, und der
täglich notwendige Lebensmut, sich solchen Aufgaben zu stellen? Ja sich
dem Leben überhaupt zu stellen?
Und so kam mir nach unserem Gespräch beim Nachdenken
immer wieder ein Bibelvers in den Sinn, zu dem ich selber eine besondere
Beziehung habe. Es ist nämlich mein eigener Konfirmandenspruch. Er zierte
die Wand unseres Unterrichtszimmers, in welchem ich den
Konfirmandenunterricht genoss. Inzwischen wurde im Kirchenzentrum
Heiligkreuz
in St. Gallen renoviert und mit dieser Renovation verschwand leider auch
der Bibelvers.
Gültig scheint er mir aber noch allemal, heute wie vor hunderten von
Jahren. Eigenartigerweise habe ich noch nie über ihn gepredigt. Und auch
heute bleibt es ja bei einer Kurzpredigt.
Es ist Vers 10 aus Psalm 36 (Psalm 36, 10):
„Bei dir, Herr, ist die Quelle des Lebens
und in deinem Lichte
sehen wir das Licht.“
Mich spricht die Bildhaftigkeit dieses Textes an. Ich
sehe eine saftige grüne Wiese und ein sprudelndes Wasserbächlein, das aus
einer Quelle unterhalb eines bergenden Felsbrockens strömt.
Saftige, grüne Wiese, sprudelndes Wasser in einem
Bächlein, entspringend einer Leben spendenden Quelle - für mich starke
Symbole für Fülle im Leben, für Entspannung, für Geborgenheit, für
unbesorgtes Leben im Jetzt.
Bild, Sehnsucht von heilem Leben, Distanz von den Sorgen des Alltagsund
von all den Verpflichtungen und Verantwortungen, die er mit sich bringt.
Selber in so einer Wiese am Quellbächlein sitzen können,
nichts tun, einfach ins Wasser schauen, dem Wasser folgen bis es weit weg
irgendwo auf dem Weg zur Weite des Meeres verschwindet.
Wasser, das von irgendwoher kommt, das einen Anfang hat, das einer Quelle
entspringt.
Das Wasser entspring genauso einer Quelle wie unser Gefühl von
Geborgenheit, von Unbesorgtsein, von heilem Leben einen Ursprung hat. Als
Christen bekennen wir diesen Ursprung als Gott.
„Bei dir, Herr, ist die Quelle des Lebens“ spricht genau von diesem
Bekenntnis. Aber noch mehr: Es spricht von einer Erfahrung. Von einer
Erfahrung, die unzählige Menschen und viele Generationen durch alle
Jahrtausende in ihrem Leben gemacht haben: dass es nämlich eine Quelle des
Lebens gibt.
Und dass man sich an das aus ihr fliessende Wasserbächlein setzen kann,
mitten in einem saftigen Wiesengrün.
Ich weiss, liebe Gemeinde dass jetzt viele unserer Zeitgenossen einwenden
werden: Romantizismus, naive Weltflucht, den bitteren Realitäten unserer
Welt nicht standhaltend. „Wenn Sie mein Leben führen müssten, Herr
Pfarrer!“
Ich weiss auch, dass der Weg von diesem Quellbächlein
immer wieder zurück in den Alltag mit seinen Aufgaben und Verantwortungen
führt.
Aber ich muss Ihnen einfach sagen, dass ich mir auch meine Erfahrung nicht
ausreden lasse, dass es diese Quelle des Lebens gibt, und dass sie mich
immer wieder stärkt und mich und ausrüstet, im Alltag der Welt mit offenen
Augen zu leben und mit zupackenden Händen zu arbeiten.
Engagiertes
Leben aus der Kraft des Wassers von der Quelle
Lieber Peter
Du sollst als Pfarrer arbeiten. Engagiert arbeiten. Mit deinem ganzen
Herzen und mit deinem ganzen Verstand.
Aber du darfst auch wissen, dass es dazu eine Quelle braucht, die dich
stärkt. Die das Wasser sprudeln lässt, das dir zuerst selber Leben gibt;
Leben, das du dann weitergibst an die vielfarbigen Menschen rund um dich
herum.
Es ist eine ganz wichtige Einsicht des christlichen
Glaubens, dass man nur weitergeben kann, wenn man zuerst selber empfangen
und erlebt hat.
Wir haben miteinander darüber gesprochen, was es
bedeutet, in Schottland am Ufer des Meeres zu sitzen und in die Ferne zu
blicken. Hinaus in die Weite, die eigene Befindlichkeit überschreitend.
Ahnen einer Wirklichkeit, die weit mehr ist, als wir im hastigen Alltag
wahrnehmen.
Offen sein für eine Lebensdimension, die über uns hinaus
geht. Bereit sein für den Anruf unseres Gottes, der uns – auch als Pfarrer
– immer zuerst selber meint. Und uns dann hinausschickt zu den Menschen.
Offen sein für die Quelle des Lebens. Offen sein für das Licht, in welchem
wir erst das Licht sehen.
Peter, das wünsche ich dir, dass du mitten in deinem
engagierten und beschäftigten Pfarrersein immer wieder zu diesem
Quellbächlein zurückkehrst, dich für einige Stunden im Grün seines Ufers
niederlässt
und gar nichts tust.
Was du dabei empfängst, wirst du immer erst nachher im
Leben deiner Mitmenschen sehen. Und natürlich in deinem eigenen.
Gib dir Sorg, Peter - und bleib beim Quellwasser!
Aber auch uns allen, liebe Gemeinde gilt dieses Angebot.
Ich weiss, diese Wiese am plätschernden Bach liegt nicht bei uns allen am
gleichen Ort. Aber ich glaube jedes von uns weiss, wo sein Quellbächlein
zu finden ist. Vielleicht etwas überwachsen, vielleicht schon lange nicht
mehr besucht. Vielleicht nur noch als unbestimmte Sehnsucht nach einem
Leben in Geborgenheit vorhanden.
Doch dieses Bächlein und seine Quelle gibt es für jedes
Leben, für jeden Menschen. Gott hat uns das versprochen, Jesus uns Wege
gezeigt, es in unserem Leben zu finden.
Folgen wir unserer Ahnung, folgen wir unserer Sehnsucht.
Man kann es nicht beweisen. Aber man kann es erleben,
wie es unzählige Menschen vor uns erlebt haben:
„Bei dir, Herr, ist die Quelle des Lebens
und in deinem Lichte
sehen wir das Licht.“
Ich möchte schliessen, indem ich Ihnen noch einen
zweiten Lieblingstext von mir mitgebe.
Auch er hat mit Wiese und Bach zu tun. Vor allem aber
mit einem Baum, der am Ufer dieses Baches gepflanzt ist und seine Wurzeln
zum Bach hin ausstreckt.
Es geht wieder um die Frage: Woher erhalte ich den Lebenssaft für mein
Leben? Der Text sagt: So ein Baum ist der Mensch, der Gott vertraut, der
seine Hoffnung auf Gott setzt und Gottes Nähe sucht.
Es ist der Text Jeremia 17, 7-8a. Und weil er für mich
so wichtig ist, lese ich ihn in allen meinen Gottesdiensten vor dem Segen:
"Gesegnet ist der Mensch,
der auf Gott vertraut
und dessen Hoffnung der Herr ist.
Er ist wie ein Baum,
der am Wasser gepflanzt ist
und seine Wurzeln
zum Bach hin ausstreckt."
„Bei dir, Herr, ist die Quelle des Lebens
und in deinem Lichte
sehen wir das Licht.“
Amen.