Festgottesdienst zur Amtsübergabe des
Kirchenratspräsidiums von Pfr. Dr. Dölf Weder an Pfr. Martin Schmidt
Samstag, 8. März 2014, Kirche St. Laurenzen, St. Gallen
Predigt Pfr. Dr. Dölf Weder
Liebe Christusgemeinde
Da sitze ich im Café am Marktplatz. Plötzlich wirft der
ältere Mann links von mir entnervt die Seiten des „Blick“ zusammen und
verlässt laut protestierend das Café: „Wie dumm war ich doch mein Leben
lang“, ruft er empört, „ich habe hart gearbeitet, und war immer ehrlich.
Wenn ich da aber lese, wie gut es all diesen Schlunggi geht, und wie sie
auf Kosten anderer das grosse Geld machen, da packt mich richtig die Wut!“
Und weg ist er. Für einen Moment herrscht betretenes Schweigen im Lokal.
Dann geht das Leben weiter.
Mir kommt sofort Psalm 73 mit der diesjährigen Jahreslosung
in Vers 28 in den Sinn. Wir haben ihn vorher gehört. Auch der Psalmist
beklagt sich bitter, dass Menschen, die sich weder um Gott noch um ihre
Mitmenschen kümmern, trotzdem das Glück für sich gepachtet zu haben
scheinen. Sich selber erlebt der Psalmist als betrogenen Looser.
Ich selber wurde in letzter Zeit mehrfach interviewt. Und
alle Journalisten kamen hartnäckig immer auf dasselbe Thema zu sprechen:
Auf die abnehmenden Mitgliederzahlen unserer Kirche, auf die gelichteten
Gottesdienstreihen und auf unseren schwindenden gesellschaftlichen
Einfluss. - Tatsachen, die nicht zu bestreiten sind, Folgen
gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen.
Aber wir bewirken doch auch so viel für die Menschen
Wichtiges. Wir sind innovativ und aktiv. Wir engagieren uns auf
vielfältige Weise, für die Menschen, für Gott und für die Gesellschaft.
Und wir vertreten eine froh machende Botschaft.
Wird das in der Öffentlichkeit einfach zu wenig
wahrgenommen? Oder ist es für viele Menschen zu selbstverständlich? Sind
wir Reformierten zu vielfältig und zu unauffällig? Die Glorie und die
mediale Aufmerksamkeit jedenfalls gehören anderen.
Können wir damit leben? Oder sollten wir zornig und besorgt
einstimmen in die Klagen des Psalmisten?
B) Die entscheidende Wende – Geborgenheit in der Hand
Gottes
Unser Psalm 73 endet in einer ganz anderen Gemütsverfassung
als er begonnen hat. Er kulminiert im entscheidenden Satz, der
diesjährigen Jahreslosung:
„Gott nahe zu sein, ist mein Glück.“
Das spricht auch unsere Vision als St. Galler Kirche an:
Wir wollen eine Kirche sein
„nahe
bei Gott – nahe bei den Menschen“.
„Nahe bei Gott“ –
denn
„Gott nahe zu sein, ist mein Glück“.
Dieser Satz strömt grosse Wärme, Geborgenheit und
Zuversicht aus - Ruhe inmitten der Stürme der Welt und des
Lebens.
Meine entscheidende Frage an diesen Text ist, wie denn der
frustrierte, klagende und anklagende Psalmist von der Bitterkeit am Anfang
des Psalms zu dieser grandiosen und Geborgenheit ausstrahlenden
Schlussaussage kommt. Wie er vom Gefühl von abgrundtiefer Ungerechtigkeit
zu so tiefem Gottesvertrauen findet.
Die entscheidende Wende ereignet sich in der Mitte des
Psalms. Da ändert der Psalmist plötzlich radikal seine Blickrichtung.
Vorher fixierte er sein Augenmerk neidvoll auf das Glück
der Gottlosen. Von Gott redete er nur in der dritten Person, sprach nur
über Gott.
In Vers 17 aber, dreht er sich um und ändert die
Blickrichtung völlig:
„Schliesslich ging ich in Gottes heilige Hallen“,
beginnt dieser Psalmteil.
Der Psalmist wendet sich plötzlich Gott zu, er spricht ihn
im Psalmtext ab jetzt mit „Du“ an.
Er besucht „Gottes heilige Hallen“, begibt sich also
in Gottes Einflussbereich, und in die Gemeinde der Glaubenden - In die
Gemeinschaft jener Menschen, die davon erzählen, wie Gott sie und ihr Volk
durch Jahrhunderte aus ihren Nöten und Gefahren befreit hat; wie er sie
führte und begleitete.
In dieser Begegnung mit Gott und mit der jahrhundertealten
Glaubensgemeinschaft findet der Psalmist neue Zuversicht und Geborgenheit.
Er realisiert die Vergänglichkeit irdischen Glücks und
singt:
„Du hast mich an die Hand
genommen.
Du
führst mich nach deinem Plan.
Und wenn mein Leben zu
Ende geht,
nimmst du mich in Würde
bei dir auf.
Bei dir zu sein,
das ist alles,
was ich mir auf Erden wünsche.“
Die
Realität hat sich nicht verändert. Die Fragen und die Probleme bleiben die
gleichen. Geändert aber hat sich die Blickrichtung.
Der Psalmist blickt nun auf Gott und auf seine Gemeinde.
Er spricht Gott direkt und mit Du an. Der über Jahrhunderte tradierte
Glaube und die damit verbundene heilvolle Erfahrung geben ihm neuen Boden
unter die Füsse. Sie eröffnen ihm Hoffnung für die Zukunft. Und das
ermöglicht ihm neue Liebe für die Mitmenschen.
Es sind diese drei Dinge, die auch Paulus als Wichtigste
aufzählt:
Glaube – Hoffnung - und
Liebe.
Was bedeutet das für unser Leben und für das Leben unserer
Kirche - mitten in der alltäglichen Realität unserer Gegenwart?
Dasselbe: Glaube als Fundament, Hoffnung für
die Zukunft, und Liebe für die Mitmenschen in der Gegenwart.
Der deutsche Kabarettist Hanns Dieter Hüsch hat diesen
Perspektivenwechsel poetisch so ausgedrückt:
„Ich sagte zu dem Engel
…:
‚Gib mir ein Licht, damit ich sicheren Fusses
der Ungewissheit entgegen
gehen kann!‘
Aber er antwortete:
‚Gehe nur hin in die Dunkelheit
und lege deine Hand in
die Hand Gottes.
Das ist besser als ein
Licht
und sicherer als ein
bekannter Weg.‘“
Mit den Worten von Vers 28, mit der Jahreslosung, gesagt:
„Gott nahe zu sein, ist mein Glück.“
Als Kirche „nahe bei Gott und nahe
bei den Menschen“ werden wir solange sicher
schreiten, als wir uns auf Gott ausrichten, statt Widrigkeiten zu beklagen
- wie immer sich die Welt und die Gesellschaft weiter entwickeln werden.
C) Wir sind unseren Kindern die Geschichten der
Freiheit schuldig
Jetzt könnte ich Amen sagen. - Wenn, ja, wenn da nicht noch
– ganz unerwartet - der allerletzte Satz dieses Psalmes stünde.
„Alles,
was du getan hast,
davon will ich erzählen“,
setzt der Psalmist ganz an den Schluss.
Er hat seinen Perspektivenwechsel der Glaubensüberlieferung
seiner Altvordern zu verdanken. Ohne ihre Gotteserfahrungen und ohne ihr
Zeugnis davon wüsste er nichts von Gottes Nähe und Zuwendung.
Der Psalmist erkennt, dass er nun selber gefordert ist, die gute Botschaft weiter zu
geben.
Weil heute wir in dieser Verantwortung stehen, schliesse ich jetzt mit Worten des deutschen Theologen Fulbert
Steffensky:
„Wir
schulden unseren Kindern die Überlieferung unseres Glaubens
- er ist das andere Brot, das sie brauchen und ohne das sie hungern.
...
Woran
sollen die Gefragten ihre Kinder erinnern?
Zunächst nicht an Aufgaben und Moral,
sondern an eine grosse Freiheitsgeschichte. …
Wir
sind unseren Kindern die Geschichten der Freiheit
und der Rettung des Lebens schuldig.“
Liebe Mitchristinnen und Mitchristen,
wir sind frei, und wir leben in Geborgenheit, denn
„Gott nahe zu sein, ist mein Glück“.
Amen.
Der Text:
Gott nahe zu sein, ist mein Glück
Psalm 73
/ Mt 16,24-26
(Übersetzung: A.Stadler/Basisbibel;
Kompilation: Carl Boetschi)
Ja, wirklich: Gott ist gut zu Israel,
zu denen, die ein reines Herz haben!
Wenn
einer mir auf meinem Weg folgen will,
verleugne er sich und nehme sein Kreuz auf sich,
und so
folge er mir nach.
Ich aber wäre fast gestrauchelt mit meinen Füßen.
Um ein Haar hätte ich den Halt verloren.
Denn ich habe mich empört über die Angeber,
als ich sah, wie gut es den Rücksichtslosen ging.
Sie kennen keine Schmerzen. Sie sind schön und gesund.
Harte Arbeit kennen sie nicht und die Sorgen der normalen
Leute berühren sie nicht.
Wer
sein Leben retten will, wird es verlieren;
wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, wird es
finden.
Ihr Markenzeichen ist Überheblichkeit
ihr Herz quillt über von bösen Plänen.
Sie spotten und reden in böser Absicht daher,
verdrehen die Worte und schüchtern ein.
Sie sagen: »Wie sollte Gott davon
erfahren?
Was
weiß denn schon der Höchste?«
Ja, so sind sie – so ist dergleichen.
Was
hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt,
dabei aber Schaden
nimmt an
seiner Seele?
Was kann einer dann geben als Gegenwert für
sein Leben?
Ja wirklich: Behielt ich umsonst ein reines Herz?
Wasche ich umsonst meine Hände in Unschuld!
Habe ich DIR umsonst vertraut?
- Ich dachte nach, um das zu verstehen!
Wenn
einer mir auf meinem Weg folgen will,
verleugne er sich und nehme sein Kreuz auf sich,
und so
folge er mir nach.
Schließlich ging ich in Gottes heilige Hallen.
Da sah ich das Ende der Ruchlosen und verstand es.
Ja, wirklich: Sie werden ein böses Erwachen erleben.
Und sie werden nur noch ein Schatten ihrer selbst sein.
Darum bleibe ich immer bei DIR.
Du hast mich an die Hand genommen.
Du führst mich nach deinem Plan.
Und wenn mein Leben zu Ende geht,
nimmst du mich in Würde bei
DIR
auf.
Wer
sein Leben retten will, wird es verlieren;
wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, wird es
finden.
Bei dir zu sein, das ist alles,
was ich mir auf der Erde wünsche.
Und sind mein Leib und Leben vergangen:
Auch dann bleibst DU, Gott, trotz allem
mein Fels und mein Erbteil für immer!
Was hilft es dem
Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt,
dabei aber Schaden nimmt an seiner Seele?
Ich aber bekenne: Gott nahe zu sein, ist mein Glück.
Bei DIR habe ich
meine Zuflucht. Auf DICH baue ich.
Und alles, was DU getan hast, davon will ich erzählen.