Festgottesdienst der
Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Rapperswil-Jona
Sonntag, 24. März 2013, Kirche Rapperswil
Predigt Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident
A) 175 Jahre Kirchgemeinde
Rapperswil-Jona
Liebe Festgemeinde
Zuerst darf ich Ihnen im Namen unserer Kantonalkirche
und des Kirchenrates ganz herzlich zum 175. Geburtstag gratulieren. Es
ist eine grosse Freude zu sehen, wie aus bescheidenen Anfängen zu Beginn
des 19. Jahrhunderts unsere heute drittgrösste Kirchgemeinde gewachsen
ist. Und erst noch eine unserer lebendigen Kirchgemeinden.
Unzählige Menschen haben in vielen Funktionen durch
fast zweihundert Jahre diese Entwicklung und das heutige Leben
ermöglicht. Ihr Engagement hat die Gemeinde zu einer für die Menschen
und für die Gesellschaft relevanten Grösse und Heimat gemacht. Ihnen
allen, und natürlich unserem himmlischen Vater, gilt unser grosser Dank.
Jubiläen stehen aber immer auch etwas in der Gefahr der
Selbstverherrlichung. So sehr Dankbarkeit - und auch etwas Stolz -
angebracht sind, so sehr muss man sich gerade bei kirchlichen Jubiläen
auch bewusst sein, dass wir sie vor allem der Glaubenskraft und dem
Engagement unserer Altvordern verdanken. Und es stellt sich uns
automatisch die Frage, wie es denn um unser eigenes Engagement heute
bestellt ist. Ob wir selber genügend engagiert und zukunftsfähig sind, um
das grosse Werk nun unsererseits auf für die heutigen Menschen und für die
heutige Gesellschaft relevante Art und Weise weiter zu führen.
B) Worauf bauen Sie letztlich in
Ihrem Leben?
Liebe Mitchristinnen und Mitchristen, um diese Frage
weiter zu entfalten, mache ich jetzt einen grossen Sprung und stelle jedem
von Ihnen eine sehr persönliche Frage.
Die Frage lautet: Worauf bauen Sie eigentlich letztlich
in Ihrem eigenen Leben? Welches ist das wirkliche Fundament Ihres Lebens?
Vielleicht haben Sie über diese Frage noch gar nie
bewusst nachgedacht. Vielleicht können Sie sie aber auch kurz und knapp
beantworten, zum Beispiel mit: „Das Fundament, das mein ganzes Leben
trägt, ist meine Familie.“ Oder: „Letzten Endes und wenn alle Stricke
reissen, kann ich mich nur auf mich selber verlassen.“
Es kann aber auch sein, dass Sie diese Frage für sich
bisher eher indirekt beantwortet haben. Zum Beispiel, indem Sie sich
finanziellen Wohlstand geschaffen haben; indem Sie sich immer wieder
weitergebildet haben; oder durch das Abschliessen einer ausgezeichneten
Krankenversicherung zum bestmöglichen Erhalt Ihrer Gesundheit; oder
überhaupt durch Versicherungsverträge für alle Eventualitäten.
Worauf bauen Sie letztlich in Ihrem Leben? Was
betrachten Sie als das wirkliche Fundament Ihres Lebens, das auch grossen
Stürmen standhalten kann?
C) Wer oder was hält mich, wenn ich
ins Bodenlose zu fallen drohe?
Wenn ich mir selber diese Frage stelle, fallen mir für
mich selbst alle diese Antworten ebenfalls ein. Aber sie beunruhigen mich
zugleich. Weil sie mir deutlich machen, wie brüchig all diese Grundmauern
des Lebens letztlich sind.
Wie ist es denn, wenn der Tod oder nur schon eine
Scheidung meine Familie plötzlich zerbricht?
Wie steht es mit dem Vertrauen in mich selber und in
meine eigenen Fähigkeiten als letztes Fundament meines Lebens, wenn ich
schwer erkranke oder wenn ich einen Unfall mit einer Hirnverletzung habe?
Versicherungen und ein guter finanzieller Hintergrund
mögen da hilfreich und wichtig sein. Mitmenschen spielen eine
entscheidende Rolle. Aber reicht das alles, mich im Extremfall vor der
Verzweiflung und dem Fall ins Nichts zu bewahren?
Mir persönlich ist es im Leben und nach zwei, drei
Lebenserfahrungen zunehmend wichtig geworden, um jemanden ausserhalb von
mir zu wissen. Jemanden, der mich auch dann noch trägt, wenn ich den
Eindruck habe, ins Bodenlose zu fallen.
Als letztes, grundlegendstes Fundament meines Lebens
fällt mir darum wirklich nur einer ein: Gott. Mein letztes Vertrauen kann
ich nur in einen mich in wirklich allen Lebenslagen liebenden und mich
tragenden Gott setzen.
Wenn ich an Gott denke, denke ich nicht an irgendeine
abstrakte Grösse. Nicht an so eine vage „höhere Macht“, wie sie auch von
vielen heutigen Menschen noch irgendwie als existierend angenommen wird.
Ich habe einen Gott nötig, wie Jesus ihn mir gezeigt und
vorgelebt hat.
Für mich ist Gott der die Menschen liebende und sie
trotz ihrer ganzen menschlichen Problematik vergebend annehmende Gott.
Er ist der Gott, den ich im Gebet mit Unser Vater
anrede. Er ist ein von mir ansprechbarer Du-Gott, ein Gegenüber. Er ist
so, wie ihn mir Jesus Christus als seinen Vater vorgestellt hat. Meine
Gottesvorstellung hängt damit unauflöslich an der Botschaft Jesu Christi.
Meine Zuversicht, dass Gott mein Leben begleitet, dass
er mich trägt, selbst wenn ich falle und wenn alles um mich herum fällt -
dieses mein Lebensfundament hängt an Jesus Christus.
Und darum kam ich für mich persönlich zum Schluss, dass
der letzte Grund meines Lebens nur Jesus Christus sein kann - und sein
mich liebender Vater, so wie sein Sohn von ihm gesprochen und mit ihm
gelebt hat.
D) „Ein anderes Fundament kann
niemand legen“
Liebe Mitchristinnen und Mitchristen, ich möchte mich
hier nicht als super-frommen Menschen hinstellen. Aber ich erhielt von
Ihrer Kirchenvorsteherschaft für heute einen Predigttext zugewiesen, dem
ich auch persönlich nicht ausweichen kann. Er zwingt mich zur persönlichen
Stellungnahme.
Und er stellt auch Ihnen persönlich, und Ihnen als
Gemeinde, die Frage: Wer oder was bildet das letzte Fundament Ihres
Lebens?
Unser Predigttext ist nämlich eine kristall-klare
Aussage des Apostels Paulus, in einem seiner Briefe an die christliche
Gemeinde im griechischen Korinth.
Er schreibt den korinthischen Christinnen und Christen:
„Ein anderes Fundament kann niemand legen als das,
welches gelegt ist: Jesus Christus.“ (1. Kor. 3,11)
Paulus sagt das kritisch gegenüber christlichen
Missionaren, die nach ihm die Gemeinde besucht haben und in Korinth ihre
eigenen Fangruppen gründeten.
Gelegentlich gibt es das ja auch in reformierten
Gemeinden. Da gibt es die Fans des sozialen Pfarrers Sozialis, und da gibt
es die Fans des frommen Pfarrers Biblikus.
Mit allen möglichen Argumenten kritisiert man sich dann
gegenseitig: zu fromm und damit zu wenig sozial die einen, zu sozial und
damit zu wenig geistlich die anderen.
Dabei gibt es nur ein einziges Fundament, das ist Jesus
Christus, sagt Paulus. Und dieser Jesus war sowohl sozial als auch
geistlich.
Unsere St. Galler Kantonalkirche betont dieses Zugleich
deutlich und sichtbar. Sie hat sich als Leitwort das Ziel einer Kirche
„nahe
bei Gott – nahe bei den Menschen“ gegeben.
Mir scheint, dass auch die Faszination des neuen Papstes
Franziskus darin besteht, dass er dieses Gleichzeitige von Gottesnähe und
Menschennähe so deutlich auszudrücken und so glaubwürdig zu leben
versteht.
Es geht bei diesem doppelten „nahe“ gleichzeitig ganz
konkret um unsere Gottesbeziehung, um unseren Glauben, um Jesus Christus.
Und es geht um die Nähe zu unseren Mitmenschen, zu den
real existierenden Menschen um uns herum, nicht nur den netten,
erfolgreichen und frommen.
Kirche „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“
benötigt hierzu ein klares Fundament.
Bereits unsere Väter und Mütter haben diesen Satz des
Apostels Paulus zur Präambel unserer St. Galler Kirchenverfassung gemacht.
Dort, noch vor Einleitung und erstem Artikel, haben sie hingeschrieben:
„Ein anderes Fundament kann niemand legen als das,
welches gelegt ist: Jesus Christus.“ (1. Kor. 3,11)
Dieses Paulus Wort vom einen, unveränderlichen
Fundament, war aber auch eurer Gemeinde, liebe Rapperswil-Joner, so
wichtig, dass ihr es 1955 in grossen Buchstaben hier vorne an die Wand
malen liesset. 1997 verschwand der Text dann im Rahmen einer technischen
Sanierung quasi über Nacht und wurde 1998 durch eine neue Wandgestaltung
von Gottfried Hirschi ersetzt.
Es ist zu hoffen, dass das damals nicht geschah, um sich
einfach der säkularer gewordenen Welt anzubiedern -
Etiketten-Verschleierung sozusagen.
Immerhin habt ihr dann später für diesen wichtigen Satz
wenigstens noch eine Plakette geschaffen und diese unter der Empore links
neben dem Ausgang angebracht. Dort können wir uns diesen Text auch heute
beim Hinausgehen nochmals in Erinnerung rufen.
E) Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Liebe Mitchristinnen und Mitchristen, Sie können mir
jetzt vorwerfen, dass ich in dieser Predigt bisher zwei unterschiedliche
Fragestellungen ziemlich miteinander vermengt und parallelisiert habe.
Nämlich die Frage, was denn das letzte Fundament Ihres
und meines individuellen Lebens ist, und die andere Frage, was das
Fundament Ihrer Kirchgemeinde und unserer Kantonalkirche ist.
In der Tat sind das zwei verschiedene Dinge. Es mag ja
noch vielen Leuten einleuchten, dass eine christliche Kirchgemeinde
eigentlich Jesus Christus zum Fundament haben sollte. Das bedeutet aber
doch noch lange nicht, dass auch wir alle, wir als einzelne
Christenmenschen, diesen Jesus Christus als unser persönliches
Lebensfundament verstehen oder verstehen müssen.
Logisch ist diese Unterscheidung durchaus richtig. Nur
ist dann sofort zu fragen: Auf welche Weise ist denn Jesus Christus
Fundament der Kirchgemeinde, wenn deren Mitglieder seine grundlegende
Christus-Bedeutung für sich persönlich gar nicht mehr teilen.
Oder erwarten die Gemeindeglieder einfach von den
kirchlichen Profis, dass die das stellvertretend für sie tun - weil sie ja
nun mal besonders fromm oder wenigstens dafür bezahlt sind?
Für mich öffnet sich da eine heute immer akuter werdende
Frage. Nämlich die Frage nach der Glaubwürdigkeit unserer reformierten
Kirche.
F) Wer oder was sind wir eigentlich als
reformierte Kirche?
Man spricht heute viel davon, das „reformierte Profil“
sei undeutlich geworden, die Protestanten seien beliebig geworden,
„anything goes“, alles sei möglich, jeder und jede könne glauben, was ihm
oder ihr gerade passt. „Selber denken – die Reformierten“ ad absurdum
geführt.
Und das ausgerechnet bei einer Konfession, die in der
Reformationszeit mit ganz klaren Botschaften einer sich an Weltlichkeit
und Machtverliebtheit verlorenen katholischen Kirche gegenüber stellte.
Darum nannte man uns „Protestanten“, von lateinisch „pro-testari“,
„etwas öffentlich bezeugen“, „für etwas eintreten“ „etwas
unmissverständlich darlegen“.
Für mich ist das nicht nur die Frage eines schwammig
gewordenen äusserlichen „Profils“. Ich meine, uns stellt sich heute viel
tiefer die Frage nach unserer Identität. Und damit die Frage nach unserer
Glaubwürdigkeit.
Die kritische Frage vieler unserer heutigen Zeitgenossen
lautet: Wofür steht ihr denn heute eigentlich als reformierte Kirche?
Sind wir eine der vielen humanitären Organisationen, die
sich für bessere soziale Verhältnisse in der Gesellschaft einsetzen?
Sind wir eine Organisation zur Förderung aus der
christlichen Tradition stammender „Grundwerte“ und darum eine wichtige
stabilisierende Kraft unseres politischen Systems?
Sind wir ein Serviceclub zur Zelebrierung von Ritualen
in menschlichen Grenz- und Übergangssituationen?
Sind wir die Überlieferer schöner Traditionen und
Bräuche der Vergangenheit, die nicht einfach so aussterben sollen?
Sind wir ein missionarisches Werk, das die Menschen zu
Bekehrung und radikaler Verhaltensänderung aufruft?
Sind wir ein Club religiöser Menschen, die Religion als
ihr Hobby haben und darum ihre Sonntage gerne mit ihresgleichen
verbringen?
Wahrscheinlich sind wir etwas von all dem.
Aber was uns wirklich zu dem macht, was wir unserem
ureigensten Auftrag gemäss sein sollen, ist meines Erachtens doch
wesentlich mehr. Und dieses Mehr ist exakt unser Fundament:
„Ein anderes Fundament kann niemand legen als das,
welches gelegt ist: Jesus Christus.“ (1. Kor. 3,11)
Es geht um Jesus Christus. Um eine Person, um eine
Beziehung, und nicht nur um eine religiöse oder soziale Überzeugung.
Es geht um unser Verhältnis, um unsere Beziehung zu
diesem Jesus Christus.
Und es geht um die ganz praktischen Konsequenzen eben
dieser Beziehung.
Wer das weglässt, besser: wer diesen Jesus Christus
weglässt, der versucht, Kirche auf einem anderen Fundament zu bauen - eine
bröcklige Sache.
G) Lebe selber, was du vertrittst
Und da, liebe Mitchristinnen und Mitchristen, muss nun
eben festgestellt werden, dass unser eigenes Lebensfundament sehr wohl
etwas mit dem Fundament unserer Kirche zu tun hat. Und umgekehrt.
Es ist - und es war durch die ganze Geschichte der
letzten 2000 Jahre - keine Kirchgemeinde denkbar, die nicht wesentlich aus
Menschen besteht, für die eben dieser Jesus Christus in irgendeiner Form
Fundament ist.
Christliche Gemeinde war schon in biblischer Zeit eine
Gemeinschaft von Menschen mit einer gemeinsamen Grundüberzeugung, mit
einem gemeinsamen Fundament: dem Glauben an Jesus Christus. - Wie immer
dieser Glaube dann auch inhaltlich näher bestimmt wurde.
Ein Paulus hätte die Menschen nie und nimmer überzeugt,
hätte er gepredigt, das Fundament der christlichen Gemeinde sei Jesus
Christus - sein eigenes Vertrauen in seinen vielen abenteuerlichen
Lebenslagen liege aber im Glauben an seine eigene Überlebenskraft.
Das hat mit Glaubwürdigkeit zu tun. Und die ist für eine
Kirche zentral.
Wir sind nur glaubwürdig, wenn wir für uns selber an das
glauben, selber das leben, was wir als kirchliche Gemeinde vertreten.
Die heutige Welt, die heutigen Menschen - und erst recht
die heutigen jungen Menschen - verlangen solche Glaubwürdigkeit. „Walk
your talk“ sagen die Amerikaner dazu. „Lebe selber, was du vertrittst“,
können wir das frei übersetzen.
Liebe Mitchristinnen und Mitchristen, Jubiläen sind
etwas Wunderbares. Sie sind Grund zum Jubeln und zur Dankbarkeit. Das
sollen wir heute tun – ausgiebig, und mit gemeinsamem Singen, Beten, Essen
und Trinken.
Aber wir feiern letztlich das Engagement, das Herzblut
und den Glauben unserer Vorfahren.
Sie sagen uns an einem solchen Jubiläum: Jetzt seid aber
ihr an der Reihe. Führt unser Werk weiter.
Habt neue Ideen. Prägt die Menschen, die Welt und die
Gesellschaft, wie sie heute sind.
Aber bleibt Jesus Christus, bleibt unserem Glauben an
ihn treu. Bleibt seiner Botschaft treu. Vergesst eure Herkunft nicht.
Vergesst euer Fundament nicht.
Seid glaubwürdig. Lebt, wovon ihr sprecht. Als
Kirchgemeinde. Und als einzelne Christenmenschen.
Christus verspricht uns: „Ich bin bei euch, jeden
Tag, bis ans Ende der Welt.“
„Ein anderes Fundament kann niemand legen als das,
welches gelegt ist: Jesus Christus.“ (1. Kor. 3,11)
Amen.