Festgottesdienst der Evangelisch-reformierten
Kirchgemeinde St. Gallen C
Sonntag, 13. September 2009, Kirche St. Laurenzen
Dialogpredigt Pfr. Peter Willi und Pfr. Dr. Dölf Weder
Ihr seid das Licht der Welt
14 Ihr
seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann
nicht verborgen bleiben. 15 Man zündet auch nicht ein Licht an und
stellt es unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter; dann leuchtet es
allen im Haus. 16 So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit
sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen. (Matthäus
5, 14-16)
Peter Willi:
Ein beinahe
vermessen anmutender Text für den Jubiläumsgottesdienst einer
Kirchgemeinde, die gerade mit einem ganzen Festmonat auf sich aufmerksam
gemacht hat. Ja, könnte man meinen, St. Gallen C hat die Bibel verstanden,
diese Kirchgemeinde stellt ein schönes Festprogramm auf und feiert ihr
150-jähriges Bestehen, sie stellt ihr Licht oben auf den Leuchter, dass es
allen in der Stadt leuchten möge. „Tut Gutes und sprecht davon!“ könnte
der zugehörige Slogan lauten – und man kann ihn gerade im kirchlichen
Kontext auch immer einmal wieder hören.
Ein Jubiläum ist eine schöne Sache.
Gemeinsam feiern, essen und trinken, beisammen sein, Interessantes und
Schönes hören und sehen und mehr als sonst spüren, welche Funktion die
Kirchgemeinde, der man angehört, hat und auch haben könnte. Der Festmonat,
der hinter uns liegt, hat bei vielen von uns bleibende Eindrücke
hinterlassen, noch klingt die Musik in unseren Ohren und noch sind uns
spannende Details aus Geschichte und kirchlicher Gegenwart in Erinnerung.
Vielleicht ist sogar ein wenig Stolz vorhanden über diesen Reichtum an
Kultur und Veranstaltungen, ganz sicher aber Dankbarkeit dafür, dass
Kirche in dieser reichen und schönen Form hier bei uns in der Stadt St.
Gallen möglich ist.
Kirche – und das wissen alle hier
Anwesenden – ist aber nicht nur Kulturorganisation, sondern immer auch
bezogen auf einen tragenden Grund, den Glauben an die Bedeutung von
Auferstehung und Leben für alle Menschen. Dabei beruft sich Kirche auf die
Worte und Taten des Wanderpredigers Jesus von Nazareth wie sie in den vier
Evangelien im Neuen Testament überliefert sind. Drei besonders schöne
Kapitel mit bedeutsamen Worten sind die Kapitel 5-7 des
Matthäusevangeliums, die Bergpredigt. Hier finden sich die
Seligpreisungen, Gedanken zu verschiedenen Lebensfragen, eine Anleitung
zum Beten, der wir das Unser Vater verdanken, das wir in jedem
Gottesdienst beten, und eben auch die Worte, in denen Jesus die, die ihm
zuhören, als das Licht der Welt bezeichnet. Was bedeutet das? Was ist
damit gemeint, dass die Menschen, die Jesus zuhören, ihr Licht vor den
Menschen leuchten lassen sollen? Worin bestehen die guten Werke, die
gesehen werden sollen? Und was haben diese guten Werke mit dem zu tun, den
Jesus den „Vater im Himmel“ nennt?
Dölf Weder:
Lieber Peter, ich bin froh, dass du
mir mit deinen Fragen Gelegenheit gibst, unseren Bibeltext etwas genauer
anzuschauen. Er wäre nicht der erste, der bei genauerer Betrachtung etwas
anderes sagt, als man auf den ersten Blick annimmt.
Du hast vorher den
schrecklichen Satz „Tut Gutes und sprecht
davon!“ erwähnt. Er ist Mode geworden in unserem Medienzeitalter. Leider
nicht selten auch in Kirchen. Man müsse heute Reklame machen für sich, in
der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, sagt man. Als Kirche meinen wir
dann, wir müssten mit unserem sozial-diakonischen Handeln, mit unserem
kulturellen Programm, mit Events und Jubiläen auf uns aufmerksam machen,
ein bisschen Licht der Welt spielen. Die Menschen, denen unsere guten
Taten gelten, werden zu Instrumenten, um uns selber als wichtig und für
die Gesellschaft unersetzlich darzustellen. Gute Taten zu unserer eigenen
Ehre. Kirchliches Kultur- und Sozialsponsoring als Licht der Welt
sozusagen. Wenn dabei auch für Gott noch etwas Lob abfällt, umso besser.
Ist es wirklich das, was Jesus an
dieser Matthäusstelle propagiert? Er, den der Evangelist Johannes selber
als das Licht der Welt verstanden hat? Er, der im nächsten Kapitel des
Matthäusevangeliums sagt: „Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die
nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden… Wenn du Almosen
gibst, so posaune es nicht aus, wie die Heuchler es machen in den
Synagogen und auf den Strassen, um von den Leuten gepriesen zu werden…
Lass deine Linke nicht wissen, was die Rechte tut, damit dein Almosen im
Verborgenen bleibt.“ Da muss ein Missverständnis vorliegen.
Wenn wir den griechischen Text und
seine Grammatik anschauen, fällt als erstes auf, dass er mit einem starken
Zuspruch beginnt und nicht mit einer Aufforderung oder einem Befehl. Das
erste Wort ist betont: „Ihr seid das Licht der Welt.“ Und im Vers grad
vorher: „Ihr seid das Salz der Erde.“ Alles, was im Text nachher folgt,
sagt nur: Seid auch, was ihr seid! Löscht das Licht nicht mit einem
Scheffel, einem Messbecher sofort wieder aus. Wenn ihr das Licht scheinen
lasst, ist das wichtig für die Menschen. So wichtig, dass sie glücklich
sein und Gott preisen werden.
Kein Wort davon, dass die
Angesprochenen Licht der Welt oder Salz der Erde werden müssten. Oh nein.
Stattdessen der Zuspruch: „Ihr seid das Licht der Welt“, „Ihr seid das
Salz der Erde.“
Wer aber ist „Ihr“? Unser Text folgt
im Matthäusevangelium direkt auf die Seligpreisungen. Selig preist Jesus
darin die vor Gott Armen, die Trauernden, die Gewaltlosen, die nach
Gerechtigkeit Hungernden, die Barmherzigen, die Menschen reinen Herzens,
die Friedensstifter, die um der Gerechtigkeit und anderer Gründe willen
Verfolgten.
Von diesen Menschen heisst es im
direkt darauf folgenden Satz: „Ihr seid das Salz der Erde … Ihr seid das
Licht der Welt.“ Nicht die Lauten und Mächtigen, nicht die Reichen, nicht
die Politik, nicht die Wirtschaft, nicht religiöse oder moralische Normen
sind das Licht und die Hoffnung der Welt - nein: „Ihr“ – all jene, die von
der Gesellschaft oft als die Verlierer, die Benachteiligten, die Naiven
und Dummen angeschaut werden.
Jetzt sehen wir unser Licht-Wort wohl
mit anderen Augen. Ziemlich provokativ, die Sache. Was meinst du dazu,
Peter? Nimmst du auch für dich und für deine Gemeinde den Zuspruch Jesu in
Anspruch, Licht der Welt zu sein?
Peter Willi:
Lieber Dölf, gerne nehme ich den Ball,
den Du mir zuspielst, wieder auf. Ob jemand arm oder reich geboren wird,
ist Schicksal oder göttliche Fügung – wie immer man es nennen will. Ob
jemand in seiner Kindheit schwierige Verhältnisse oder eine liebevolle
Familie antrifft, ebenso. Und wenn das gilt, ist wohl zunächst einmal auch
eigentlich eher zufällig, ob jemand zu einer einflussreichen, zu einer
lauten und mächtigen Person wird oder aber zu einem Verlierer / einer
Verliererin, zu einem gebildeten oder einem naiven Menschen. Dennoch
verstehe ich das Evangelium genau so, wie Du es beschrieben hast. Als Salz
der Erde, als Licht der Welt werden eben gerade die Menschen genannt, die
– wie Du es sagst – von der Gesellschaft oft als die Verlierer, die
Benachteiligten, die Naiven und Dummen angeschaut werden. Wie geht das
auf? Was bedeutet das für die Gewinner im globalen Wettbewerb, zu denen
unzweifelhaft auch wir als Kirchgemeinde gehören? Sind auch wir Licht der
Welt?
Meine Antwort lautet: Ja,
wir sind es oder zumindest: wir können es sein, wenn wir es auch wollen.
Denn die Botschaft des Evangeliums ist nicht nur ein Geschenk an uns
Menschen, sondern auch ein Auftrag, den man folgendermassen umschreiben
könnte: Das, was uns materiell und an Prestige gegeben ist, ist nicht das,
worauf es vor dem Hintergrund der Ewigkeit Gottes ankommt. Das, worauf es
in der Welt, im zwischenmenschlichen Bereich, wirklich ankommt, ist das
Ungeschminkte, das Unverstellte, das wirklich durch und durch Menschliche
(und da weiss im Herzen jeder und jede, was damit gemeint ist). Und diesem
Menschlichen ist man oft dann näher, wenn Not, Traurigkeit und
Benachteiligung alle überheblichen Masken entfernt haben (auch das weiss
wohl jeder und jede aus eigener Erfahrung). In diesem Sinn könnte man
sagen, dass wir alle und letztlich auch die Kirchgemeinde als Institution
Licht der Welt sind, und zwar genau dann, wenn wir oder die Kirchgemeinde
dem Leben, der Menschlichkeit, der Rücksichtnahme, der Sorgfalt, der
Solidarität unter den Menschen und der Liebe das Wort reden. Wenn es
heisst: „Ihr seid das Licht der Welt“ wird uns als Menschen eine Zusage
gemacht. Eine Zusage, die zur Aufgabe wird, wenn wir nachher auch den Satz
„So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Taten
sehen und euren Vater im Himmel preisen“ wirklich ernst nehmen. Oder um es
noch einmal anders zu sagen: Wir Christinnen und Christen hier in St.
Gallen und überall auf der Welt sind dazu aufgerufen, uns auf unsere
Menschlichkeit zu besinnen und der Zusage „Ihr seid das Licht der Welt“
auch wirklich gerecht zu werden. Uns selbst und Gott zur Ehre.
Dölf Weder:
Lieber Peter, mit deinen Gedanken hast
du den Kreis geschlossen zu deinem wichtigen Satz am Anfang dieser
Predigt. Ich zitiere dich: „Kirche ist immer bezogen
auf einen tragenden Grund, den Glauben an die Bedeutung von Auferstehung
und Leben für alle Menschen.“
Du hast völlig Recht. Bloss eine
jahrhundertealte, respektierte öffentliche Körperschaft zu sein, reicht
nicht. Bloss im Sozial- und Kultursponsoring tätig zu sein und einige
modische Events und Happenings zu veranstalten, würde ebenso wenig
reichen.
Für eine Kirchgemeinde ist zuallererst
wichtig, was sie ist, was ihr tragender Grund ist – und nicht, was sie
tut. All ihre Aktivitäten sind natürliche Folgen ihres gelebten Seins,
sind Leuchtenlassen des Lichts, das sie selbst erleuchtet.
Was soll die Kirchgemeinde St. Gallen
C also in den nächsten Jahren und Jahrzehnten tun? – Sich Gottes Licht in
Jesus Christus aussetzen, ihre Wurzeln zum lebendigen Wasser hin
ausstrecken! Und dann dieses Licht, die erhaltene Kraft, auf vielfältige
Weise leuchten lassen, zusammen mit den Menschen und zum Wohl der Menschen
hier in St. Gallen und in der Welt.
In der Kantonalkirche fassen wir diese
Doppelaufgabe zusammen in der Vision einer Kirche
„nahe
bei Gott – nahe bei den Menschen“. Das eine nicht ohne das andere.
Menschen sind heute in vieler
Beziehung anders als sie es früher waren. Menschen sind aber auch in
vieler Beziehung immer noch gleich wie sie früher waren.
Die Kirchgemeinde St. Gallen C wird
darum in Zukunft vieles anders tun müssen als sie es bisher tat. Sie muss
sich den Herausforderungen der heutigen Gesellschaft kreativ und mutig
stellen. Sie wird aber auch vieles weiterführen, was sie bisher tat. Sie
wird Heimat anbieten und Aufbruch wagen.
Entscheidend ist dabei immer wieder
die Frage: Wie können wir das Licht, das uns geschenkt ist, das Licht, das
wir darum selber geworden sind, am besten zum Wohle anderer Menschen
leuchten lassen? Wie können wir gleichzeitig „nahe bei Gott“ und “nahe bei
den Menschen“ sein?
Dass ihr alle, liebe Mitchristinnen
und Mitchristen, euch immer wieder in diesem Licht Jesu findet, und
dadurch selber und für andere Menschen Licht werdet, das wünschen Peter
und ich euch und uns. Zum Lobe Gottes und zum Wohl der Menschen.
Amen.