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Vielfalt und Einheit der Evangelischen Kirche

Zur Verfassungsreform des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK)

 

 

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Artikel im Bulletin des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), April 2013, Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident


Vielfalt ist kein Defekt, sondern ein essentielles Merkmal evangelischer Kirchen

„In der Vielfalt zuhause“ lautete des Thema des internationalen Bodenseekirchentages 2006. „Wer dem Geist Gottes Raum zum Wirken gibt, der muss mit Vielfalt rechnen. Monotonie, Eintönigkeit ist seine Sache nicht, sondern in der Vielstimmigkeit erklingt dieser Geist“, formulierte der Festprediger.

In der Tat kommt bereits in der Bibel eine Vielfalt von Glaubenszeugnissen zu Wort, ineinander gearbeitet, nebeneinander stehend, sich gelegentlich gar widersprechend. So vielfältig die Menschen sind, so vielfältig antworten sie auf Gottes Ruf, so vielfältig leben sie ihren Glauben.

Die Reformation setzte als Kriterium „sola scriptura“ („die Schrift allein“). Neue Bibelübersetzungen ermöglichten das eigene Urteil – Vorboten der Mündigkeit des Menschen, die zum zentralen Thema der Aufklärung und schliesslich der Demokratisierung wurde.

Vielfalt ist die natürliche Folge des biblischen und des evangelischen Glaubensverständnisses.

 

Einheitlichkeit wird gefordert, ist aber kein evangelischer Weg

Die neue Selbstverantwortung führte zu Konfessionalisierung und Aufsplitterung der protestantischen Kirchenfamilie, in der Schweiz zur Ausbildung eines farbigen Teppichs von Landes- und Freikirchen mit ihrer gelegentlich kontroversen Vielfalt an theologischen Prägungen und Ausgestaltungen des kirchlichen Lebens. Der Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses ist das nicht förderlich. Zudem kompliziert es das ökumenische Gespräch.

Unsere mediale Welt tut sich schwer mit differenzierten Positionen. Gefordert sind kurze, kantige Statements, leicht einzuordnen in polarisierenden Denkschemen. Einheitlich und erkennbar sollen wir sein. Das ist für Landeskirchen und ihre Vielfarbigkeit ein echtes Problem. Es ist zudem dem Menschsein mit seinen Schattierungen und Widersprüchlichkeiten grundsätzlich nicht angemessen, geschweige denn der Vielfarbigkeit persönlich geprägter Glaubensvollzüge.

Der Ruf nach Vereinheitlichung und Einheitlichkeit findet auch in unseren Kirchen seine Vertreter. Vielfalt und Einheitlichkeit sind aber Gegensätze. Also Abstriche bei der biblisch-evangelischen Vielfalt und statt dessen „evangelische Korrektheit“, Definition von Grenzen und ausgrenzendes „Ihr seid draussen“?

Es gibt einen anderen Weg: Einheit in der Vielfalt. Denn Vielfalt und Einheit sind keine Gegensätze. Jesus hat für diesen Weg gebetet, Paulus ihn vertreten.

 

Einheit der Glaubenden –  „…auf dass sie alle eins seien…“

Die Einheit der Glaubenden war Jesus und den frühen Gemeinden ein grosses Anliegen. Erst recht, als sie sich über den ganzen Mittelmeerraum mit dessen kultureller und religiöser Vielfalt ausbreiteten. Paulus spricht beschwörend vom einen Leib Christi. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit von dessen Gliedern kritisiert er nicht. Er fordert nicht Einheitlichkeit – aber Einheit und Einsatz der vielfältigen Charismen zur Auferbauung der Gemeinde.

„Einheit in Vielfalt“ und Jesu Gebet „…dass sie alle eins seien …“ waren in der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts die grosse, die protestantische Familie einander weltweit näher bringende Vision. Es ist der Weg, den auch wir Schweizer Kirchen in den nächsten Jahren viel betonter verfolgen müssen.

 

Einheit „von oben“ oder „von unten“?

Einheitlichkeit lässt sich von oben verordnen oder durch demokratische Mehrheitsbeschlüsse anstreben. Aber Einheit gibt es nicht ohne die Herzen der Menschen. Wenn die Menschen keine Einheit spüren, in ihnen kein Gefühl von Verbundenheit besteht oder entsteht, kann man „oben“ noch lange Konsensformeln, Bekenntnisse und liturgische Texte verabschieden. Sie mögen sogar theologisch richtig sein. Aber sie werden wenig neue Einheit bewirken. Einheit entsteht, wenn auch bei den Menschen an der Basis etwas geschieht. Neues muss auch „unten“ in Bewegung kommen, erlebbar werden, zu Veränderung und einer stärkeren gemeinsamen Ausrichtung führen.

Das heisst nicht, dass man „oben“ zur Untätigkeit verurteilt ist. Die Förderung von Einheit in der Vielfalt benötigt eine Interaktion der beiden Bewegungsrichtungen.

 

Die neue Leadership-Rolle des SEK

Wir müssen dem SEK einen neuen Auftrag erteilen. Er muss im Thema evangelische Identität und Einheit künftig eine Leadership-Funktion zur Förderung der gemeinsamen Ausrichtung wahrnehmen.

Der SEK benötigt dafür nicht viele neue Entscheidungskompetenzen. Es ist nicht Ziel, dass eine neue „Schweizer Synode“ „oben“ irgendwelche Beschlüsse fasst und sie „nach unten“ durchzusetzen versucht.

Auftrag des SEK ist das Initiieren, Leiten und Nähren schweizweiter Ausrichtungsprozesse. Dynamisch, interaktiv und partizipativ müssen sie sein. Dazu gehören durchaus auch klare programmatische Botschaften und Anstösse. Und basistaugliches Material, damit keine Luftschlösser entstehen. Es müssen die konkreten Realitäten und Zukunftsperspektiven unserer Kantonalkirchen, Kirchgemeinden und ihrer Menschen angesprochen werden. Dazu braucht es ihr Engagement und Mittun.

 

Zentral ist die Glaubensfrage

Viel beklagt wird unser schwaches „Profil“. Mir ist das eine zu oberflächliche Diagnose. Unser Problem liegt tiefer: wir haben eine Identitätsdiffusion. Unsere Vielfalt ist nicht nur Ausdruck einer gesunden Glaubensvielfalt, sondern oft auch einer gewissen Richtungslosigkeit, einem Mangel an einer klaren Identität und Ausrichtung.

Wer sind wir? Wofür stehen wir? Was ist unser Auftrag? Was wollen wir erreichen? Wir müssen neu miteinander darüber nachdenken. Wir müssen neu wagen, deutlich, klar und verständlich vom Glauben zu reden. Dazu benötigen wir einander, benötigen wir einen offenen, lebhaften Diskurs, benötigen wir eine gemeinsame Ausrichtung, benötigen wir einen gestärkten SEK.

Es geht um zwei, eng miteinander verbundene Elemente. Mit der St. Galler Vision gesagt: Es geht um Kirche „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“ und darum, was das heute konkret bedeutet – in Einheit und Vielfalt.

 



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Inhalt

Vielfalt ist kein Defekt, sondern ein essentielles Merkmal evangelischer Kirchen

Einheitlichkeit wird gefordert, ist aber kein evangelischer Weg

Einheit der Glaubenden –  „…auf dass sie alle eins seien…“

Einheit „von oben“ oder „von unten“?

Die neue Leadership-Rolle des SEK

Zentral ist die Glaubensfrage

 

So vielfältig die Menschen sind, so vielfältig antworten sie auf Gottes Ruf, so vielfältig leben sie ihren Glauben.

 

Vielfalt ist die natürliche Folge des biblischen und des evangelischen Glaubensverständnisses.

 

 

 

 

Vielfalt und Einheitlichkeit sind Gegensätze. Vielfalt und Einheit sind keine Gegensätze. Jesus hat für diesen Weg gebetet, Paulus ihn vertreten.

 

 

„Einheit in Vielfalt“ und Jesu Gebet „…dass sie alle eins seien …“ waren in der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts die grosse, die protestantische Familie einander weltweit näher bringende Vision. Es ist der Weg, den auch wir Schweizer Kirchen in den nächsten Jahren viel betonter verfolgen müssen.

 

 

Die Förderung von Einheit in der Vielfalt benötigt eine Interaktion der beiden Bewegungsrichtungen "von oben" und "von unten".

 

 

 

 

Der SEK muss im Thema evangelische Identität und Einheit künftig eine Leadership-Funktion zur Förderung der gemeinsamen Ausrichtung wahrnehmen.

 

 

Unser Problem liegt tiefer: wir haben eine Identitätsdiffusion.

 

Wer sind wir? Wofür stehen wir? Was ist unser Auftrag? Was wollen wir erreichen? Wir müssen neu miteinander darüber nachdenken. Wir müssen neu wagen, deutlich, klar und verständlich vom Glauben zu reden.