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Klares Reden - Engagiertes Tun

Apostelgeschichte 4, 29-30

 

 

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Einleitende Besinnung zur Wintersynode 2000
Montag, 4. Dez. 2000, Grossratssaal St. Gallen
Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident

 

Liebe Synodale

Bei meiner Bibellektüre bin ich kürzlich in der Apostelgeschichte auf zwei Verse gestossen, die recht unscheinbar am Ende einer Geschichte und eines Gebetes stehen. Sie enthalten nach meiner Meinung eine für uns Christen heute sehr kraftvolle und sehr herausfordernde Botschaft.

Der Kontext ist die Geschichte von der Heilung des Gelähmten an der Schönen Tür des Tempels in Jerusalem. Es ist die erste Heilungsgeschichte nach Pfingsten, die Heilung eines von Geburt an gelähmten Mannes durch den Apostel Petrus. Petrus und Johannes treffen diesen gut 40-jährigen Mann als Bettler am Eingang des Tempels in Jerusalem. Petrus sieht ihn an und sagt: „Silber und Gold habe ich nicht. Ich habe etwas anderes, das will ich dir geben. Du sollst tun, was Jesus Christus, der Nazoräer, dich tun heisst: Geh umher!“ ((Apg. 3, 6). Der Mann springt auf und ist geheilt. Petrus und Johannes aber sprechen nun zum Volk und bezeugen ihren Glauben an Jesus, den Christus.

Da werden sie von der Tempelwache ergriffen und den Priestern und Ältesten vorgeführt. Unerschrocken bezeugen sie den Auferstandenen. Schliesslich muss man sie entlassen, versehen mit einem Redeverbot. Johannes und Petrus kehren zu ihren Freunden zurück, berichten, was sie erlebt haben, und alle rufen gemeinsam in einem Lobgesang Gott an.

Und dieses Gebet nun endet mit den Worten, die ich uns heute auf unseren kirchlichen Weg mitgeben möchte. Es ist eine Bitte um mutiges Reden und um glaubhaftes Handeln. Ich lese Apostelgeschichte 4, Verse 29 und 30 in der Übersetzung von Jörg Zink:

„Gib deinen Knechten Mut, dein Wort in aller Freiheit zu sagen. Hilf uns und gib uns Kraft, dass durch uns geschieht, was Jesus, dein Sohn, will: dass Menschen geheilt werden, dass sie Zeichen deiner Macht sehen und über deinen Taten dich erkennen.“

 

Gib deinen Knechten Mut, dein Wort in aller Freiheit zu sagen

„Gib deinen Knechten Mut, dein Wort in aller Freiheit zu sagen“, das ist die erste Bitte in diesem Gebetsabschnitt.

Diesen Satz müssen wir nach meiner Meinung hier in unserer St. Galler Kirche wieder neu beten lernen. Wir werden zwar nicht mehr vor Priester und Älteste gestellt. Aber wir haben Angst vor einer mächtigen Dame: vor der Dame „öffentliche Meinung“.

Es gibt mir zum Beispiel schwer zu denken, dass ich in den letzten zwei Jahren nun mehrmals Diskussionen darüber erlebte, ob in einem Stelleninserat, in einer Broschüre oder in einem Zeitungsartikel die Worte „christlich“, „kirchlich“ oder „evangelisch-reformiert“ erwähnt sein sollen, oder ob das die Leute abschrecken könnte. In verschiedenen Fällen wurden diese Begriffe unsere ureigenste Identität ausmachende Begriffe – schamhaft oder opportunistisch verschwiegen.

Eine andere Form der Angst vor dieser angeblichen „öffentlichen Meinung“ ist, ausserhalb unserer Gottesdiensträume nur noch von der sozialen oder der verwaltungs­technischen Funktion unserer Kirche zu sprechen.

Wir tun uns schwer, zu unserem Glauben zu stehen und in einer einfachen Alltagssprache zu sagen, worum es denn beim uns anvertrauten Evangelium letztlich geht: Um Gottes Liebe zu uns Menschen, zu uns immer wieder schwachen und schuldigen Menschen. Um die in Jesus Christus sichtbare Liebe, die uns befähigt und ermutigt zur Liebe für unsere Mitmenschen und für die Welt.

Wer mich kennt, weiss, dass ich nicht vielen frommen Worten das Wort rede. Aber ich rede einem offenen, glaubhaften christlichen Zeugnis im Alltag der Welt das Wort. 

Wenn wir als Christen in unserer Gesellschaft relevant, also für die Menschen wichtig sein wollen, dann können wir das nur, wenn wir genau wissen, für welches Evangelium wir stehen. Wir können es nur, wenn wir dieses Wort in aller Freiheit und Offenheit weitersagen. So, wie es Artikel 2 unserer Kirchenverfassung als unser Auftrag formuliert:

„Die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St. Gallen erkennt als ihren Auftrag, Jesus Christus als das Haupt der Kirche und den Herrn der Welt zu verkündigen und durch ihr dienendes Handeln das angebrochene Reich Gottes zu bezeugen.“

Gib deinen Knechten Mut, dein Wort in aller Freiheit zu sagen.

 

Glaubhaftigkeit und Glauben schaffende Taten

Nun hat dieser Bibelvers aber - wie auch der soeben gehörte Kirchenverfassungsartikel – noch einen zweiten Teil:

„Hilf uns und gib uns Kraft, dass durch uns geschieht, was Jesus, dein Sohn, will: dass Menschen geheilt werden, dass sie Zeichen deiner Macht sehen und über deinen Taten dich erkennen.“

Da ist nun neben klaren Worten auch von Taten, von Heilung, von Zeichen und Wundern die Rede. Das sollten wir nicht vorschnell symbolisch verharmlosen. Nein, von uns Christen sind neben glaubhaften Worten auch glaubhafte Taten gefordert.

„Gefordert“ ist dabei allerdings das falsche Wort. Unser Bibelvers ist ja ein Gebet, eine Bitte also. Die Bitte, dass Gott uns hilft und uns Kraft gibt, damit durch uns geschieht, was Jesus Christus, was Gottes Sohn will: dass Menschen geheilt werden, dass sie Zeichen von Gottes Macht sehen und durch Taten Gott selber erkennen.

Glaube wächst dabei nach unserem Text auch aus dem Erleben von Taten und nicht nur aus dem Wort.

Es geht in diesem zweiten Teil also um unser Bitten, dass Gott uns befähige zu solchen Glaubhaftigkeit und Glauben schaffenden Taten.

Was sind aber solche Taten des Glaubens? Gelähmte zu heilen und andere Wundertaten liegen wohl kaum - oder zumindest sehr selten – in unserer Reichweite. Aber in unserem alltäglichen Leben Taten der Liebe und der Mitmenschlichkeit zu vollbringen statt Gleichgültigkeit, Nörgelei oder gar Aggression zu leben, das liegt sehr wohl in unserer Reichweite, und zwar sowohl als einzelne Christen wie auch als kirchliche Gemeinde.

Das bedeutet zum Beispiel sozial-diakonisches Handeln, sowohl als einzelne Christen wie auch als christliche Gemeinde. Es bedeutet gut zuhören, glaubhaft reden und dienend handeln.

Vielleicht müssen wir wieder neu lernen, Gott jeden Morgen zu bitten, dass er uns für den Tag sehende Augen und hörende Ohren gibt, und dazu ein Herz, das uns unsere Mitmenschen lieben lässt.

Ich möchte aber den Kreis unserer möglichen Taten noch eine Dimension weiter ziehen und an einem Beispiel konkretisieren. Auch da gehören Wort und Tat zusammen.

 

Wider Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus

Mit dem in Kürze beginnenden Jahr 2001 startet die Dekade zur Überwindung von Gewalt. Wie vor einiger Zeit die Frauendekade, dauert auch sie 10 Jahre lang, das heisst bis zum Jahr 2010.

Die Dekade zur Überwindung von Gewalt ist entstanden aus dem leidenschaftlichen Engagement des Oekumenische Rates der Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. In der Botschaft der Achten OeRK-Vollversammlung, also 1998 in Harare, bezeugten die Delegierten in Vertretung auch unserer Kirche:

„Wir sind durchdrungen von der Vision einer Kirche, dem Volk Gottes auf dem Weg miteinander, das Einspruch erhebt gegen alle Trennungen aufgrund von Rasse, Geschlecht, Alter oder Kultur, das Gerechtigkeit und Frieden zu verwirklichen sucht und die Integrität der Schöpfung achtet.“

Diese Vision von christlicher Kirche ist alles andere als ein harmloses Programm. Sie ist „scharfer Tabak“. Eine solche Vision erfordert unser deutliches Reden und unser engagiertes Tun.

Lasst mich ein aktuelles Beispiel nehmen: Die verbale und die körperliche Gewalt gegen mit und neben uns lebende Mitmenschen in der Form von Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus.

Die nächtliche Konfrontation hier vor unserer Kantonsschule in St. Gallen ist uns allen wohl noch in lebhafter Erinnerung. In der wenige Tage darauf folgenden Protestdemonstration gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit hat unter anderen auch Beat Dietschy als OEME Beauftragter unserer Kantonalkirche vor dem Waaghaus das Wort ergriffen.

Viel subtiler aber als bei dieser medienwirksamen Konfrontation wurde in den letzten Monaten die Ausländerfeindlichkeit nicht nur zunehmend stammtischfähig, sondern schleichend auch salonfähig und familientischfähig.

Ich spreche jetzt nicht vom sachlichen Abwägen darüber, wie viele Ausländer sinnvollerweise in der Schweiz leben sollen, und wie man sie möglichst gut integrieren kann. Diese Diskussion ist politisch legitim und darf von uns nicht schlecht gemacht werden. Ich spreche hier von diese Diskussion begleitendem, ausländerfeindlichem Reden. Es wurzelt letztlich meist in einer Angst vor dem uns Fremden, in einer Angst vor Ausländern und ihrem schwer verständlichen Anders-Sein.

Von dieser Angst und Feindlichkeit sind auch christliche Kreise betroffen. So hörte ich beispielsweise in den letzten Monaten nicht nur einmal, wir Kirchen müssten unsere reformierten zeugungsfähigen Eltern aufrufen, mehr Kinder zu haben, damit der Bevölkerungsnachwuchs nicht plötzlich zugunsten der Muslime kippe.

Bei all den Formen von subtiler Angst vor den Ausländern und von offensichtlicher Ausländerfeindlichkeit gilt es im Namen Gottes und der Menschen deutliche Worte zu sagen und deutlich Stellung zu beziehen.

Nicht in naiver Verharmlosung von kulturellen Unterschieden.

Und nicht in naiver Verharmlosung von unakzeptablen Formen des Austragens von Konflikten und Meinungs­verschiedenheiten. Unrecht und Gewalt sind und bleiben Unrecht und Gewalt, wer auch immer sie verübt. Ihnen haben wir uns entgegen zu stellen, wer auch immer sie verübt.

Und drittens auch nicht in naiver Verharmlosung der schwierigen und aufwendigen täglichen Arbeit, welche die Integration von Ausländern und Schweizern in einer gemeinsamen Gesellschaft bedeutet, zum Beispiel im Bereich der Schule. Das bedeutet tägliche engagierte Arbeit. Sie erfordert oft sehr schwierige, differenzierte Entscheide. Diese Arbeit ist mit einigen schönen Schlagworten nicht geleistet.

Es gilt hingegen, allen pauschalen Ängsten, Vorurteilen und Verurteilungen deutlich und klar entgegen zu treten. Es gilt allem Ausgrenzen deutlich und klar entgegen zu treten. Es gilt allen verbalen und tätlichen Formen von Aggression und Gewalt deutlich und klar entgegen zu treten.

 

Interreligiöser Dialog als die grosse Herausforderung des 21. Jahrhunderts

Nun sind aber auch solche deutliche und klare Worte immer noch eine relativ billige Sache, wenn sie nicht von angemessenen Taten begleitet werden.

Ich glaube, wenn wir St. Galler Christen diese Herausforderung und die Botschaft unseres Bibelverses mit der Bitte um Worte und Taten ernst nehmen wollen, dann gilt es, noch einen weiteren Schritt zu tun.

Wir Christen und Kirchgemeinden müssen uns heute ernsthaft fragen, was gerade unser spezieller Beitrag zur Integration von Nicht-Schweizern in unserer Gemeinschaft ist.

Die Menschen, denen es heute beizustehen gilt, liegen nicht mehr so offensichtlich gelähmt am Eingang zum Tempel. Sie leben - oft nicht weniger gelähmt, aber unserem Auge verborgen – mitten unter uns. An ihnen und mit ihnen gilt es, zum einen, sozial-diakonisch zu handeln.

Unser Kernthema als Kirche ist Religion und Leben aus dem Glauben. Gerade wir Christen und Kirchgemeinden sind daher, zum anderen, zu einem offenen und verstehen wollenden Dialog mit unseren muslimischen Mitmenschen als Muslime aufgerufen. Das ist nicht leicht. Und gelegentliche Kirchgemeindeessen mit ausländischen Speisen allein reichen da nicht.

Das 21. Jahrhundert wird aber genauso das Jahrhundert des interreligiösen Dialoges werden wie das 20. Jahrhundert dasjenige des innerchristlichen oekumenischen Dialoges war.

Und der Schwierigkeitsgrad der heutigen Herausforderung ist mit Sicherheit nicht niedriger als jener der Herausforderung durch die innerchristliche Oekumene. Jener haben wir uns gestellt. Dieser müssen wir uns heute stellen. 

Liebe Synodale,

Lasset uns darum beten:

Grosser Gott,
gib uns als deinen Knechten Mut,
dein Wort in aller Freiheit zu sagen.
Hilf uns und gib uns Kraft,
dass durch uns geschieht,
was Jesus, dein Sohn, will:
dass Menschen geheilt werden,
dass sie Zeichen deiner Macht sehen
und über deinen Taten dich erkennen.

Amen.



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     www.weder.ch     Last updated: 27.12.23

   
Inhalt

Text Apg. 4, 29-30

Gib deinen Knechten Mut, dein Wort in aller Freiheit zu sagen

Glaubhaftigkeit und Glauben schaffende Taten

Wider Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus

Interreligiöser Dialog als die grosse Herausforderung des 21. Jahrhunderts

 

 

 

 

 

 

Gib deinen Knechten Mut, dein Wort in aller Freiheit zu sagen (Apg. 4, 29).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir tun uns schwer, zu unserem Glauben zu stehen.

 

 

 

Wenn wir als Christen in unserer Gesellschaft relevant sein wollen, dann können wir das nur, wenn wir wissen, für welches Evangelium wir stehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Glaube wächst auch aus dem Erleben von Taten und nicht nur aus dem Wort.

 

 

 

 

 

 

 

Gut zuhören, glaubhaft reden und dienend handeln.

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir sind durchdrungen von der Vision einer Kirche, die Einspruch erhebt gegen alle Trennungen aufgrund von Rasse, Geschlecht, Alter oder Kultur.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei all den Formen von subtiler Angst vor den Ausländern und von offensichtlicher Ausländerfeindlichkeit gilt es im Namen Gottes und der Menschen deutlich Stellung zu beziehen.

 

 

 

 

Es gilt, allen Ängsten, Vorurteilen und allem Ausgrenzen deutlich und klar entgegen zu treten.

 

 

 

 

 

 

Wir Christen müssen uns heute ernsthaft fragen, was gerade unser spezieller Beitrag zur Integration von Nicht-Schweizern ist.

 

 

 

Gerade wir Christen sind zu einem offenen und verstehen wollenden Dialog mit unseren muslimischen Mitmenschen aufgerufen.

 

Das 21. Jahrhundert wird genauso das Jahrhundert des interreligiösen Dialoges werden wie das 20. Jahrhundert dasjenige der innerchristlichen Oekumene war.

 

Der Schwierigkeitsgrad der heutigen Herausforderung ist mit Sicherheit nicht niedriger als jener der Herausforderung durch die innerchristliche Oekumene. Jener haben wir uns gestellt. Dieser müssen wir uns heute stellen.