Artikel für "Cevi Information",
November
2001,
Mitteilungsblatt des Cevi Schweiz,
Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident
„Der Cevi ist nicht die SBB, sondern ein Trolleybus, der junge Menschen
zu einem Bahnhof der SBB bringt.“ So beschrieb in meiner Jugendzeit
unser St. Galler Cevi-Präsident das Verhältnis von Kirche und CVJM – und
damit auch den Auftrag unserer Bewegung. Für mich beschreibt dieses
einfache Bild noch heute Entscheidendes. Und ich gehöre selber zu jenen
vielen jungen Menschen, die durch den Trolleybus Cevi zum Glauben und
zur SBB Kirche fanden.
Der internationale YMCA wie der Cevi in der Schweiz haben von allem
Anfang an grossen Wert darauf gelegt, keine Kirche zu sein und nicht
schleichend zu einer solchen zu werden. Das wäre schon nicht vereinbar
mit dem oekumenischen und vielfarbigen Charakter unserer Bewegung.
Dieser drückte sich bereits 1844 in der interkonfessionellen
Zusammensetzung der Londoner Gründungsgruppe um George Williams aus und
dann wiederum 1855 bei der Gründung des CVJM Weltbundes in Paris, wo
recht unterschiedliche Glaubenstraditionen zusammen fanden. Sich
institutionell als Kirche zu verstehen, würde den Cevi völlig
überfordern und seinen Charakter tiefgreifend verändern. Oekumenische
Vielfalt und Kirchlichkeit sowie ein breites Spektrum von Arten zu
glauben und diesen Glauben in der Welt zu leben, sind herausragende
Eigenschaften auch der heutigen YMCA Weltbewegung. Das fordert immer
wieder Toleranz und Offenheit.
Der Cevi gehört zu den „Freien Werken“, die vor allem im 19. und frühen
20. Jahrhundert blühten und beachtliche soziale und missionarische
Pionierleistungen vollbrachten. Eine grosse Zahl von bis heute
bedeutenden Organisationen der Diakonie und der Inneren und Äusseren
Mission gehören in diesen geschichtlichen Zusammenhang. Sie verstehen
sich als kirchennahe Dienstgemeinschaften für besondere Aufgaben.
Typisch für sie ist die Vereinsform, rechtliche Unabhängigkeit von den
verfassten Kirchen und ein klarer Zweck.
Im Falle des Cevi ist dieses Ziel seit 1855 dasselbe, festgehalten in
der Pariser Basis. Es geht um das Sammeln junger Menschen zur
gemeinsamen Ausbreitung des Reiches Gottes.
Wenn der Cevi selber nicht Kirche sein will, als rechtlich eigenständige
Dienstgemeinschaft aber seinen Hauptzweck in der Ausbreitung des Reiches
Gottes sieht, dann stellt sich notwendigerweise die Frage nach seinem
Verhältnis zu den verfassten Kirchen. Eine international anerkannte
Formel hierfür lautet : „In der Kirche, aber nicht unter der Kirche“. Es
ist offensichtlich, dass in diesem Satz das Wort „Kirche“ in zwei
verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. Wie verhalten sich diese
beiden Bedeutungen zu einander?
Der weltweit bedeutende Zürcher Theologieprofessor Emil Brunner hat in
einem für den Cevi wichtigen Aufsatz „Die Ekklesia des Neuen Testamentes
und die CVJM“ (1) aufgezeigt, dass der neutestamentliche Begriff „ekklesia“
nicht auf eine oder mehrere verfasste Kirchen eingeschränkt werden darf,
sondern auch auf den Cevi anwendbar ist. „Ekklesia“ ist die umfassende
Gemeinschaft der Menschen, die miteinander und mit Jesus Christus
verbunden unterwegs sind, Leib Christi, das wandernde Gottesvolk. Auch
im Cevi kann und soll sich ein Stück dieser Ekklesia, dieser
Christusgemeinschaft ereignen. In diesem Sinne ist der Cevi „in der
Kirche“.
Meine eigene Forderung an den Cevi, und an Christliche Jugendarbeit
generell, lautet deshalb (2):
Christliche Jugendarbeit ist
entweder eine Form der Christusgemeinschaft – oder sie verfehlt sich
selbst.
Für Leitende im Cevi bedeutet das, immer wieder zu fragen, wie man ganz
nahe bei und mit jungen Menschen unterwegs sein kann, deren Situation,
Gefühle und Interessen ernst nehmend. Und andererseits, immer wieder
darüber nachzudenken, was die gute Botschaft von Gottes Liebe für die
aktuelle Situation bedeutet, wie man einander helfen kann, eine
vertrauensvolle Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus aufzubauen, wie
sich Gottes Reich auf Erden ausbreiten kann. Die beiden Elemente
„nahe
bei Gott - nahe bei den Menschen“ sind immer wieder neu miteinander in
Beziehung zu bringen und in lebendige Aktivitäten umzusetzen.
Der Cevi darf also nicht verfasste Kirche werden. Er soll als Freies
Werk auch unabhängig bleiben, nicht „unter der Kirche“ sein. Zugleich
aber gilt:
Der Cevi soll ein Raum sein, in welchem Christusgemeinschaft gelebt wird
und deshalb erlebbar ist, „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“.
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(1) in: Gottfried Geissberger / Werden, Wachsen und Wesen der
Christlichen Vereine Junger Männer, Zürich 1968
(2)
Dölf Weder / Christliche Jugendarbeit, St. Gallen 1980, Leitmotto
und S. 273ff