Interview für "Doppelpunkt",
Mitarbeiterzeitschrift der
Evang.-ref. Kirche des
Kantons St. Gallen, Ausgabe August 2001,
und
"Kirchenbote", Ausgabe Oktober 2001
Interview: Hansruedi Fischer, kid.
Sind Sie mit dem Ausgang der Verhandlungen der Sommersynode 2001
zufrieden?
Ja, sehr. Die Synode hat in 1. Lesung einige für die
inhaltliche Qualität der Arbeit unserer Kirchgemeinden wichtige
Rahmenbedingungen deutlich verbessert. Bessere Ermöglichung von
blauer Musik, um es mit einem alten
Bild von mir zu sagen. Es liegt nun an den Kirchenvorsteherschaften und
den lokalen Mitarbeitenden, die erweiterten Gestaltungsfreiräume auch
kreativ zu nutzen – im Sinne einer St.
Galler Kirche „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“.
Für mich waren es zwei Entscheide. Beide erweitern die
Gestaltungsfreiräume der Kirchgemeinden: Zum einen die Ablösung des
Unterrichtsobligatoriums für Pfarrer durch ein
Normalpensum von sechs
Stunden, das durch andere Schwerpunkte kompensiert werden kann. Die
Regelung erlaubt einen begabungsgerechteren und stärker auf die
Schwerpunkte der Kirchgemeinden ausgerichteten Einsatz der kirchlich
Mitarbeitenden. Gleichzeitig wurden für den Konfirmandenunterricht die
Möglichkeiten (und damit die Ermutigung) zum Einbezug von weiteren
Mitarbeitenden und zur regionalen Zusammenarbeit erweitert. Ein neues
Recht auf Supervision und eine grössere Verbindlichkeit der
Weiterbildung werden die inhaltliche Qualität verbessern.
Zum zweiten möchte ich die wichtige Erweiterung der Gestaltungsfreiräume
im Bereich der Gottesdienste erwähnen.
Die Neuerungen setzen allerdings voraus, dass die
Kirchenvorsteherschaften und die kirchlich Mitarbeitenden künftig noch
vermehrt miteinander reden und gemeinsam überlegen, welche inhaltlichen
Ziele und Schwerpunkte in der Gemeinde und Region gesetzt werden sollen
und wie man sie personell am besten und am begabungsgerechtesten angeht.
Grössere Gestaltungsfreiräume im Bereich Gottesdienste – Welche
Möglichkeiten sehen Sie da für die Gemeinden?
Einmal pro Monat und in den Ferien können Gottesdienste künftig statt am
Sonntag auch an einem anderen Tag oder in einer speziellen Form oder in
regionaler Zusammenarbeit gefeiert werden. Zudem sollen spezielle
Gottesdienste auf klar definierte Zielgruppen ausgerichtet sein. Das
erlaubt zum Beispiel einer Gemeinde mit einer Ten Sing- oder
Gospelgruppe, einmal pro Monat anstelle eines traditionellen
Sonntagsgottesdienstes am Samstagabend einen Gospelgottesdienst
anzubieten. Er wird vor allem Junge und Junge Erwachsene ansprechen, und
das bei entsprechender Bekanntmachung nicht nur in der eigenen Gemeinde,
sondern in der ganzen Region. Eine andere Gemeinde aus derselben Region
bietet dafür vielleicht regelmässig liturgisch-musikalische
Gottesdienste im Stil von Taizé an, oder sozialpolitisch engagierte
Dialoggottesdienste, oder spezielle partizipative
Eltern-Kind-Gottesdienste usw. Die Kreativität und die Ideen von
Kirchgemeinden und kirchlich Mitarbeitenden sind gefragt! Nicht für
alles Beliebige, sondern für Gottesdienste „nahe bei Gott – nahe bei den
Menschen“.
Gemeinschaft muss wachsen: Haben Sie Echo bekommen auf den Auftrag, die
regionale Zusammenarbeit zu fördern?
Ja, der uns von der Synode 1999 erteilte Auftrag wird mir gegenüber
immer wieder angesprochen. Das Thema weckt zum Teil grosse Emotionen –
und auch Ängste. Bis zum 15. August sammelt die Kommission
„Regionale Zusammenarbeit“ Reaktionen zu ihrem Zwischenbericht. Die
Synode hat soeben einen weiteren wichtigen Schritt getan und ermöglicht
mit ihrem Entscheid zum Finanzausgleich, dass wir künftig innovative
Projekte von regionaler Zusammenarbeit auch mit sehr attraktiven
finanziellen Mitteln unterstützen können. Der neue „Gemeindebund“ des
Kirchenboten wird ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten zur
Förderung regionaler Zusammenarbeit.
Die Echos bestätigen, was ich auch selber immer wieder deutlich sage: Es
geht in diesem Thema um eine sorgfältige Balance. Einerseits bedarf es
grosser menschlicher (und örtlicher) Nähe kirchlich Mitarbeitender zu
den Menschen ihrer lokalen Gemeinde (meiner Meinung nach muss diese Nähe
mit viel frei zu schaufelnder Zeit noch deutlich ausgebaut werden!). Auf
der anderen Seite ist klar, dass man zahlreiche auf spezielle
Zielgruppen ausgerichtete Angebote gar nicht machen kann, wenn sie
beschränkt sind auf eine einzelne Kirchgemeinde oder Konfession. Hinzu
kommt, dass Pfarrpersonen zwar in der Regel eine gute Grundkompetenz in
allgemeiner Gemeindearbeit haben, also Generalisten sind, aber dies für
spezielle Themen und Aktivitäten heute nicht mehr reicht. Ich erinnere
zum Beispiel nur schon an die Jugendarbeit. Für solche Aufgaben müssen
wir kirchlich Mitarbeitende einsetzen, die in einem Bereich eine
spezielle Ausbildung und Begabung haben und sich darin regelmässig
weiterbilden. Der Einsatz kann in Form eines regional abgestimmten
Schwerpunktes im Rahmen eines Allround-Pfarramtes geschehen, oder auch
als eigentlicher Spezialisteneinsatz, zum Beispiel in Form eines für
mehrere Gemeinden angestellten sozial-diakonisch Mitarbeitenden. Nicht
zu sprechen von den Einsparungen und Entlastungen, die sich im
Verwaltungsbereich ergeben, wenn verschiedene Kirchgemeinden
zusammenspannen. Der Mangel an geeigneten Kirchenvorstehern wird uns
sowieso immer mehr zu solcher Zusammenarbeit zwingen. Wir müssen uns auf
unseren inhaltlichen Auftrag, auf die
blaue Musik konzentrieren und
unsere Mitarbeitenden begabungsgerecht einsetzen. Das macht auch den
Pfarrerberuf – und den Einsatz im Kanton St. Gallen! - weiter attraktiv.
Gefragt sind auf örtliche Gegebenheiten, Schwerpunkte und
Mitarbeitende abgestimmte, flexible und kreative Lösungen, die noch
grössere Nähe zu den Menschen kombinieren mit regionalen
Schwerpunktbildungen und begabungsgerechtem Mitarbeitereinsatz. Das
alles im Dienste unseres inhaltlichen Auftrages: des Lebens in der in
Jesus Christus sichtbar gewordenen Liebe Gottes und der Ausbreitung des
anbrechenden Reiches Gottes.
Was ist zu tun, damit das Gefühl, „Kirche reicht so weit der Schatten
meines eigenen Kirchturms fällt", der Bereitwilligkeit zum
Zusammenwirken weicht?
Wir müssen umdenken – oder aber zur Bedeutungslosigkeit verkommen.
Umdenken, sich Verändern fällt nicht immer leicht, ist in einer sich
rasch und radikal verändernden Zeit und Gesellschaft aber unumgänglich.
Dabei gilt es, das Gute des starken lokalen Bezuges unserer Kirche zu
behalten und noch auszubauen, und auf der anderen Seite die neuen
Chancen auszunützen, welche sich aus der erhöhten Mobilität und der
zunehmenden Breite und Vielfalt der Interessen, Situationen,
Fragen und Beziehungen der heutigen Menschen ergeben.
Ich finde, wir leben in einer unheimlich spannenden Zeit. Und glaubhaft
gelebtes Christsein kann den Menschen in dieser Zeit so viel geben. Aber
nur, wenn wir unseren Glauben an Jesus Christus und die Liebe Gottes
ganz ernst nehmen und sie – wie Jesus – auf die Situation der heutigen
Menschen in unserer heutigen Gesellschaft beziehen, uns also nicht
einfach an hergebrachten Formen festklammern. Das braucht Mut und
Kreativität, eine Kirche „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“. Lasst
uns weiter eine solche lebendige Kirche sein und miteinander gestalten!