22. März 2007
Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident
„Das fremdenpolitische Klima ist kalt geworden in der
Schweiz, sehr kalt sogar“ schrieb ich im
Vorwort zum Jahresbericht 2004. Ich verwies damals auf die
Abschaffung der Sozialhilfe für Asylsuchende mit einem
Nichteintretensentscheid (NEE), aber auch auf einen Entscheid der
Bürgerversammlung Rheineck, welche soeben die Einbürgerung von 13
erwachsenen Muslimen und 13 Kindern abgelehnt hatte, wobei mehrere von
ihnen bereits in der Schweiz geboren worden waren und hier alle Schulen
und die Lehre durchlaufen hatten. Die Gerichte erklärten die Entscheide
für ungültig, die Abstimmung musste wiederholt werden. Kürzlich
entschieden sich die Rheinecker ein zweites Mal – fast mit dem gleichen
Resultat. Mit grosser Besorgnis ist auch zu registrieren, dass sich die
Partei mit dem zurzeit schweizweit grössten Wähleranteil vor allem mit
ausländer- und auslandkritischen Themen profiliert und dabei auch nicht
vor einem stark emotionalisierenden Kommunikationsstil zurückschreckt.
Einem friedlichen und vertrauensvollen Zusammenleben von Menschen mit
unterschiedlichem kulturellem Hintergrund ist das alles mit Sicherheit
nicht förderlich.
Nun hat das Schweizer Volk im September 2006 die neue
Gesetzgebung im Asyl- und Ausländerrecht, gegen welche unter anderen die
Kirchen und Hilfswerke das Referendum ergriffen hatten, mit überraschender
Deutlichkeit angenommen. Vorangegangen waren Zusicherungen der Parteien
und Behörden, dass deren Umsetzung unter Wahrung der Menschenwürde und
unter Respektierung des internationalen Völkerrechts geschehen würde. Das
Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Verantwortlichen des Landes und
der demokratische Entscheid sind zu respektieren, auch wenn man die Dinge
selber anders sieht und die Umsetzung mit wachem Auge verfolgt. Zudem
dürfen effektiv bestehende Probleme mit Asylsuchenden und in der Schweiz
lebenden Ausländerinnen und Ausländern nicht unter den Tisch gekehrt
werden, das wäre naiv und kontraproduktiv.
Prioritäten Integration und Rechtsstaatlichkeit
Damit ergibt sich auch weiterhin die Notwendigkeit eines hohen Engagements
mit zwei Prioritäten: Förderung gesellschaftlicher Integretation –
kirchlicherseits namentlich durch Förderung des interkulturellen und
interreligiösen Verständnisses und Dialoges – und Hilfestellung beim
Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren für jene Menschen, welche sich
diesen nicht selber verschaffen können.
In der Verfolgung der zweiten Priorität,
Rechtsstaatlichkeit, spielt die St. Galler Rechtsberatungsstelle eine ganz
wichtige Rolle. Ihre Statistik 2006 zeigt eine deutliche Zunahme der
Beratungen und auch eine Zunahme der erfolgreichen Rekurse und
dementsprechend der staatlichen finanziellen Entschädigungen. Trotz
Anwachsen des Rechtsberatungsbedarfs an den Empfangsstellen und Rückgang
der Zahl der Asylsuchenden insgesamt, hatte dies, entgegen allen
Erwartungen, zumindest für den Moment noch keine Entlastung der St. Galler
Rechtsberatungsstelle zur Folge. Im Gegenteil, es zeigt sich, dass infolge
der zunehmend schwierigen Situation verschiedener Ausländergruppen in der
Schweiz deren Rechtsberatungsbedarf auch ausserhalb des engeren
Asylbereichs wächst, namentlich bei Personen, die sich aufgrund ihrer
Lebenslage keine zu professionellen Tarifen arbeitenden Rechtsanwälte
leisten können.
Die Notwendigkeit für die Kirchen und Hilfswerke, sich im
Integrationsthema verstärkt zu engagieren, darf zu keinem Erlahmen in der
Rechtsberatung führen. Rechtsstaatlichkeit ist eine wichtige Voraussetzung
jeder Integrationsarbeit. Die St. Galler Kantonalkirche beispielsweise
beabsichtigt denn auch keine Kürzung finanzieller Mittel für diesen
Dienst, solange ein entsprechender Bedarf nachgewiesen ist und sie selber
die Finanzen dafür aufbringen kann. Wir hoffen und sind überzeugt, dass
diese Haltung auch für andere Supporter und namentlich für die vielen
freiwilligen Spenderinnen und Spender gilt.
Ihnen allen, vorab aber der sich jahrein-jahraus auf eindrückliche Weise
engagierenden Crew der Rechtsberatungsstelle St. Gallen danken wir im
Namen all der vielen Menschen, die durch diese Beratungsleistungen neue
Hoffnung und neue Perspektiven für ihr Leben erhalten haben.