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Interview von Anders Stokholm
Annex zu "Reformierte Presse",
5/2002, Februar 2002
Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident
Auftrag, Vision, Leitziele
- was veranlasst eine Kantonalkirche, solche zu erarbeiten? Anders
Stokholm sprach mit Kirchenratspräsident Dölf Weder.
Herr Weder, das Papier «St.
Galler Kirche 2010» ist in einem zweijährigen
Prozess entstanden. Ebenso lange sind Sie
Kirchenratspräsident. Ein Zufall, oder ist das
Papier Ihr Werk?
Das Papier enthält viele Anliegen von
mir. Doch es ist in einem breiten partizipativen Prozess entstanden. Der
Kirchenrat, die Präsidenten-konferenz, die
Kirchgemeinden und eine eigene Aussprachesynode haben sich daran
beteiligt. Es ist deshalb kein Opus Dölf Weder. Doch ich freue mich, dass
ich mich damit identifizieren kann.
Wozu braucht die St. Galler Kirche
ein Papier mit Auftrag, Visionen und Leitzielen bis ins Jahr 2005?
Unsere Gesellschaft ist im Umbruch
und darum auch unsere Kirche. Es ist deshalb
wichtig zu wissen, in welche Richtung man gehen will. Die Kirche ist stark
auf Stabilität ausgerichtet und darum in Gefahr, sich nur noch selber zu
perpetuieren. Es scheint manchmal, ihr seien vorwärts führende Ziele und
zeitgemässe Formen abhanden gekommen. In einer sich rasch verändernden
Umwelt aber ist eine nur statische Organisation langfristig verloren – und
sie entspricht auch nicht dem Evangelium, das für Veränderung von Menschen
und Welt steht.
Welche
Veränderungen tangieren denn die Kirchen derart existentiell?
Vor allem der Traditionsabbruch. Die
Menschen leben heute viel individueller, bindungsloser und
selbstbestimmter als nur schon vor 50 Jahren. Sie stellen sich ihre
eigenen religiösen Systeme zusammen. Im Zuge dieser Entwicklung hat die
Zahl der Angebote zugenommen,
und die Menschen wollen frei wählen können.
Bewegen wir uns
demnach in Richtung eines religionslosen
Zeitalters?
Ich glaube nicht. Das Religiöse bleibt
eine wichtige Dimension des Menschseins. Heute stellt aber kaum mehr
jemand die Frage Luthers: Wie krieg ich einen gnädigen Gott? Die Menschen
fragen dafür nach dem Sinn und der Fülle des
Lebens. Offenbar erwarten sie Antwort aber immer weniger von Kirchen
und hergebrachten Institutionen.
Sinkt die Kirche
also in die Irrelevanz ab?
Das ist die Gefahr. Wenn sie bloss
Antworten gibt auf Fragen und Bedürfnisse, die nur wenige noch haben, dann
wird sie in die Irrelevanz absinken. Die Kirche aus heutigen Menschen muss
danach fragen, was uns heute bewegt, und es in
Beziehung setzen zu christlichem Glauben. Also
gut zuhören, glaubhaft reden, diakonisch handeln. „St. Galler Kirche
2010“ drückt es aus in der Vision einer Kirche
„nahe
bei Gott – nahe bei den Menschen“.
Das Papier trägt den Titel «St. Galler
Kirche 2010». Warum haben Sie es nicht Leitbild
genannt?
Das Papier dient der strategischen
Planung. Wir wollen zielgerichtet arbeiten können. Dazu muss man sich
zunächst auf gemeinsame Ziele und Schwerpunkte einigen und danach eine
Strategie formulieren, wie diese zu erreichen sind. Bei einem Leitbild
formuliert man eine möglichst alles umfassende Idealvorstellung. Uns ging
es um eine einfache, klare Grundausrichtung und deutliche Schwerpunkte. Da
darf auch manches fehlen.
Einige haben moniert, es gehe alles
ungewohnt schnell, sei anspruchsvoll und zeitaufwendig. Doch gesamthaft
ist der Prozess sehr positiv aufgenommen worden. Verschiedentlich entstand
neue Motivation und Aufbruchstimmung. Nun stelle ich eine gewisse Skepsis
fest: Wird das Papier einfach in einem schwarzen Loch verschwinden? Die
eigentliche Arbeit beginnt ja erst jetzt: die beharrliche Verfolgung der
aufgelisteten Leitziele, viel Detailarbeit.
Die Leitziele sind – im Sinne von
Schwerpunkten - nicht allgemein gehalten, sondern klar fokussiert. Es
heisst zum Beispiel nicht einfach, Gottesdienste sollen gefördert werden,
sondern die Vielfalt der Gottesdienste sei zu fördern. Eine erste
Massnahme ist bereits von der Synode beschlossen worden: Bisher schrieb
die Kirchenordnung vor, dass pro Kirchgemeinde ein Gottesdienst pro
Sonntag abgehalten werden soll. Neu kann einmal pro
Monat der Gottesdienst an einem anderen Tag, in einer anderen Form oder in
regionaler Zusammenarbeit stattfinden. Das soll Vielfalt,
Zielgruppenorientierung und Zusammenarbeit fördern.
Grosse Ziele müssen in kleine, aber zielgerichtete Schritte des Alltags
umgesetzt werden.
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Inhalt
Auftrag, Vision,
Leitziele
Wozu dieses Papier?
Welche
gesellschaftlichen Veränderungen?
Religionsloses Zeitalter?
Irrelevante Kirchen?
Warum kein Leitbild?
Wie aufgenommen?
Wie
Schubladisierung verhindern?
Eine
nur statische Organisation entspricht nicht dem Evangelium, das für
Veränderung von Menschen und Welt steht.
Die Menschen wollen frei wählen
können.
Die Menschen heute fragen nach dem
Sinn und der Fülle des Lebens.
Wenn die Kirche bloss Antworten
gibt auf Fragen und Bedürfnisse, die nur wenige noch haben, wird
sie in die Irrelevanz absinken.
Uns ging es um eine einfache,
klare Grundausrichtung und deutliche Schwerpunkte.
Die eigentliche Arbeit
beginnt erst jetzt: die beharrliche Verfolgung der
aufgelisteten Leitziele, viel Detailarbeit.
Grosse Ziele müssen in
kleine, aber zielgerichtete Schritte des Alltags umgesetzt
werden.
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