Interview von Matthias Böhni mit
Kirchenratspräsident Pfr. Dr. Dölf Weder in der
Reformierten Presse, 7.
Februar 2014
andreas ackermann
Ich freue mich auf mehr Freiheit
Er war 14 Jahre Kirchenratspräsident der reformierten
St. Galler Kirche. Was hat er erreicht, wie lautet sein Erfolgsrezept,
und warum hat er manchmal Mühe, über den Glauben zu reden? Matthias
Böhni hat Dölf Weder dazu befragt.
Reformierte Presse: Sie haben nicht nur Theologie,
sondern auch Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften studiert. Waren Sie ein Exot unter den Theologen?
Dölf Weder: Nein. Dank diesen Kenntnissen konnte ich
zugleich inhaltlich und organisatorisch arbeiten, sei es als
Generalsekretär des Europäischen CVJM-Bundes oder später als
Kirchenratspräsident. Das kam mir sehr entgegen, denn ich bin ein
Generalist. Allerdings kann man dann auch nichts wirklich gut (lacht).
Aber bei den Theologen gibt es Feindbilder gegenüber
den Ökonomen.
Ja klar, und umgekehrt natürlich auch. Man pflegt ja
mit ein bisschen Freude solche Feindbilder. Mein Ökonomiehintergrund war
jedenfalls nie ein Nachteil in der Theologie.
Aber Sie konnten nicht völlig unbelastet gegen Nestlé
loswettern.
Nein, das theologische Loswettern ist aber manchmal
nicht nur unbelastet,
sondern auch unqualifiziert (lacht). Man kann die Wirklichkeit von sehr
verschiedenen Perspektiven sehen: eine ist theologisch, eine andere
ökonomisch. Beide haben ihre Berechtigung, und es geht immer um
denselben Menschen.
Kommen wir zu Ihrer Zeit als Kirchenratspräsident
... Moment noch. Sowohl die Theologie als auch die
Ökonomie beschäftigen sich mit dem Leben. Immer wenn man glaubt, man
könne aus einem einzigen Blickwinkel die ganze Realität verstehen, liegt
man falsch. Es ist eine Illusion, die objektive Wahrheit zu besitzen.
Der Neoliberalismus hat sie nicht, und die Theologie hat sie auch nicht.
Die Theologen haben das unterdessen gemerkt.
Beschäftigt sich die Ökonomie mit den ersten Fragen,
die Theologie mit den letzten?
(zögert) Ich glaube, schon bei den ersten Fragen
stellen sich letzte
Fragen. Aber jetzt wird’s philosophisch.
Also, Ihre Bilanz Ihrer 14 Jahre
als Kirchenratspräsident?
Zunächst: Die ganze Gesellschaft ist in einem grossen
Umbruch, und damit auch die Kirchen. Damit verbunden sind Krisen und
Chancen. Für die Kirchen heisst
das: Sind wir Untergangsverwalter oder Übergangsgestalter? Lernen wir
mit schneller Veränderung umgehen?
Lernen die Kirchen es?
Traditionelle Institutionen tun sich mit Veränderung
schwer. In St. Gallen sind wir das aber
recht erfolgreich angegangen. Wir haben uns gefragt: Wer sind wir,
was ist unser Auftrag, welches sind unsere Ziele, und wie erreichen wir
sie?
Hier spricht der Manager.
Durchaus.
Der Theologe würde doch sagen: Der Heilige Geist wird
das schon richten.
Das ist für mich eine schlechte Theologie, weil sie
meint, die Welt sei von den Menschen nicht veränderbar. Sie hat nicht
verstanden, was inkarnatorische Theologie ist: Gott ist in die Welt
gekommen und hat sich diesen Prozessen ausgesetzt. Gute Theologie ist
weltbezogen und verändert sie, allerdings immer mit Demut, denn der
Machbarkeit sind klare Grenzen gesetzt.
Im übrigen stammt die Frage nach den Zielen aus meiner
NGO-Zeit mit dem CVJM, dem Cevi. Als NGO muss man Ziele haben, diese
erreichen und dann auch verkaufen. Man muss für die Menschen relevant
und wichtig sein. Sonst geht man rasch unter.
Kehren wir zurück zur Bilanz.
Ich glaube, in der St. Galler Kirche waren wir
erfolgreich, weil wir die Veränderungsprozesse zusammen mit den Leuten
gemacht haben. Wir haben aus Betroffenen Beteiligte gemacht. Und so
konnten wir verschiedene Projekte zwar langsam, aber sicher
durchbringen, beispielsweise die Mindestgemeindegrösse im revidierten
Finanzausgleich, populäre Kirchenmusik oder Erlebnisprogramme auf der
Oberstufe. Unsere Vision
«nahe
bei Gott - nahe bei den Menschen» wird breit getragen.
Darauf bin ich – bei aller Demut – stolz: Die Menschen
in der St. Galler Kirche wissen zwar um die Schwierigkeiten, aber sie
gestalten mit, sind kreativ, sie wissen, dass sie bei aller Schwachheit
eine gute Sache vertreten. Früher waren wir depressiver.
Hat der
Kirchenbund SEK
bei seiner Verfassungsrevision die betroffenen
Kirchen zu wenig zu beteiligten Kirchen gemacht?
Ich denke, der Kirchenbund kann in der Beteiligung
seiner Mitglieder noch viel besser werden.
Eine herrlich diplomatische Antwort
(lacht) Ich komme aus der Jugendarbeit. Teenager sind
widerständig und auf Selbständigkeit bedacht. Man muss sie ernst nehmen,
sonst erreicht man nichts. Das Potenzial des Kirchenbundes ist nicht
ausgeschöpft. Wir brauchen eine Stärkung des SEK, aber nicht im Sinne
einer Oberbehörde mit Weisungsbefugnis. Wir brauchen eine grössere
Dynamik des miteinander Funktionierens, des Austausches.
Hat sich in den 14 Jahren diesbezüglich etwas
verändert?
Unterdessen haben verschiedene Kantonalkirchen
gemerkt, dass der Kirchenbund eine stärkere Rolle spielen soll. Noch
nicht klar ist, wie er das tun kann. Beim SEK glaubt man zu stark, man
könne Dinge auf schweizerischer Ebene festlegen. Bei seinem Streben nach
Sichtbarkeit zeigt er zudem katholisierende Tendenzen. Die Spitze wird
aber nur gestärkt, wenn die Basis sie trägt.
Ist das nicht ein unauflösbarer Widerspruch? Die
Basis ist alles, und trotzdem soll die Spitze gestärkt werden?
Nein, das ist reformiert. Man muss mit anderen
Methoden arbeiten als beispielsweise die katholische Kirche. Es geht von
unten nach oben, der interne Diskurs muss gefördert, die Gemeinsamkeiten
müssen herausgearbeitet werden. Man darf auch benennen, wo man sich
nicht einig ist. Der SEK soll interaktive, partizipative Prozesse
anstossen, Leadership ausüben – und mit Vielfalt leben.
Sie argumentieren mit Lust und Drive.
Woher kommt Ihre Kraft?
Ich bin ein engagierter Typ. Mich fasziniert unser
Anliegen. Wir haben als Christen eine für die Menschen relevante
Botschaft. Aber woher meine Kraft letztlich kommt, weiss ich auch nicht.
Ich war schon als Jugendlicher begeisterungsfähig und habe als
18jähriger mit Cevi-Freunden den sehr kirchenkritischen Film «und sollt
nicht tun» gedreht. Er war jahrelang im Verleih der Reformierten Medien
und wurde auch am Schweizer Fernsehen gezeigt.
Das war ums Jahr 1968. Sind Sie ein 68er?
Nein, ich war immer zu bürgerlich. Aber ich habe
sicher Anteil an der Aufbruchstimmung, die damals entstanden ist, und
damit am Glauben an Visionen und an die Veränderbarkeit der
Gesellschaft. Ich habe immer Visionen entwickelt, und ich sehe das
Potenzial in Menschen und Situationen. Ich brauche dann aber Leute, die
Ideen umsetzen helfen.
Welche Rolle spielt die Musik in Ihrem Leben?
Eine wichtige. Ich habe es in
der Musik zwar nie zu etwas gebracht, habe aber mehrfach musikalische
Entwicklungen eingeleitet. Beispielsweise fördern wir hier in St. Gallen
nicht nur Orgel- und Chormusik, sondern auch eine Vielfalt von populären
Musikstilen. Der Glaube und die Musik haben etwas gemeinsam:
Sie berühren die Menschen emotional.
An der St. Galler
Abschiedssynode haben Sie gesagt, Sie
seien dem Weitergeben des Glaubens nicht immer gerecht geworden.
Ich war nie ein Mann der frommen Worte. Mir fällt es
nicht so eicht, meinen persönlichen Glauben weiterzugeben. Das ist bei
uns Reformierten ziemlich privatisiert und tabuisiert. In der
beruflichen Rolle ist es einfacher. Wir Reformierten wissen zudem nicht
mehr so genau, wofür wir stehen. Wir wollen offen sein, aber was glauben
wir? Wir befinden uns in einer Identitätsdiffusion. Das betrifft Profis
und Laien gleichermassen.
Ein Vorteil für die Katholiken?
Ja. Die Katholiken haben einen Papst, der in
Glaubensfragen Vorgaben macht und den Schiedsrichter spielt. Aber der
Traditionsabbruch hat auch die Katholiken eingeholt.
Viele Reformierte glauben an
eine «höhere Macht». Reicht das nicht?
Das ist schon sehr vage. Genügt es auf die Dauer? Nach
neutestamentlichem Verständnis sind wir Christen das sich auf Jesus
Christus berufende «wandernde
Gottesvolk». Soll die Kirche das aufgeben zugunsten einer schwammigen
Allerwelts-Religiosität und sozial wertvollem Handeln? Für mich eine
ungenügende
Existenzbasis. Mein Gottesbegriff ist deutlich personaler, der Glaube
eine Ich-Du-Beziehung, wie Jesus sie lebte.
Wir Reformierten haben keine vorgegebene Dogmatik,
legen nicht verbindliche Wahrheiten fest, sondern diskutieren darüber.
Damit besteht natürlich die Gefahr, in Nebel und Beliebigkeit
abzusinken. Wir haben jedoch auch einen klaren Referenzpunkt: Jesus
Christ und die biblischen Zeugnisse – das Kriterium, «was Christum
treibet», mit den Worten Luthers gesagt.
Aber es gibt auch andere, universalistische
Gottesbegriffe. Sind die denn unreformiert?
Nein, ich kann nur für mich reden und habe keinen
Anspruch, andere als unchristlich oder unreformiert zu bezeichnen. Aber
wir müssen aufpassen, dass wir die heute frei floatende «Spiritualität»
nicht vorschnell christlich vereinnahmen.
Sie haben sehr viele Synoden und Sitzungen erlebt.
Wird man da nicht müde?
Nein, ich war immer ein eher hyperaktiver Typ. Der
Rektor der Uni Zürich sagte mir 1979 bei der
Doktorierung, dass auch ich aufs
Alter einmal ruhiger werde – möglicherweise hat er sich geirrt (lacht).
Ich lasse mich jetzt aber vorzeitig pensionieren und freue mich auf mehr
Freiheit. Ich bin auch froh, Verantwortung abgeben zu können. Jetzt
mache ich ein einjähriges Sabbatical und schaue mal, was aus mir noch
werden will.